Alien
Es ist eine neuere Version von  AlienInsideTwoday  verfügbar!  Aktualisieren  Jetzt nicht!
© 2018-2023 NeonWilderness

Sonntag, 30. Januar 2011

Der demokratisierte Blick ins Rund

1987 habe ich im Tages Anzeiger Magazin einen Artikel von Bojarek Garlinski gelesen, der mich bis heute fasziniert und zum Panorama-Fan machte: "Lugaus ins Rings" war der Titel dieser kurzen Kulturgeschichte des Panoramas.


Das Drehrestaurant auf dem Mittelallalin, 3456 m ü.M.

Der Text beginnt mit einer Fahrt mit der höchstgelegenen Standseilbahn zum welthöchsten Drehrestaurant auf dem Mittelallalin über Saas Fee. Beim Aufgang von der Bergstation der Metro Alpin zum 1985 eröffneten Drehrestaurant falle die verblüffende Ähnlichkeit zum Panorama auf: "Auch dort durchschreiten die Besucher zunächst einen verdunkelten Gang, sie sollen das Tohubawohu des Alltags vergessen und sich auf eine optische Reise einstimmen. Schliesslich steigen sie eine Treppe hoch, überwältigt vom rundum einströmenden Licht. Die Landschaft liegt ihnen zu Füssen."


Das Bourbaki-Panorama in Luzern und das Wocher-Panorama in Thun. Architektonisch sind sich Drehrestaurant und Panoramagebäude recht ähnlich, doch während das Drehrestaurant grosse Fenster hat, ist das Panoramagebäude fensterlos.

Der grosse Unterschied zwischen Drehrestaurant und Panorama: "Nicht mehr der Mensch muss sich um die eigene Achse drehen (...), um die Rundsicht nach und nach in den Blick zu bekommen: Auf dem Mittelallalin dreht sich die Umgebung für ihn. Und es ist nicht mehr ein detailgetreues Gemälde, das die Illusion vermittelt, in der Landschaft draussen zu sein; es ist das Original höchstselbst, die Natur, die 'vorbeizieht', live..."


Schnitt durch ein Panorama: (A) Kasse & Eingang, (B) dunkler Korridor & zentraler Treppenzylinder, (C) Beobachtungsplattform, (D) Gesichtsfeld des Betrachters, (E) kreisförmige Leinwand, (F) dreidimensionale Elemente des "Faux Terrains", (G) Trompe l'oeil-Elemente auf der Leinwand. (Quelle: www.panoramaonview.org, mit einer Liste der weltweit noch existierenden Panoramen)

Wer hat's erfunden? "Robert Baker gilt als erster Erbauer eines Panoramas, bestehend aus Riesenrundbild und Rotunde, dem eigens dafür konstruierten Rundgebäude. Geschäftstüchtig, wie er war, liess er seine Erfindung am 17. Juni 1787 unter dem Namen "La nature à coup d'oeil" patentieren, und zwar nicht nur das Riesenrundbild, sondern auch die Rotunde. Beim Panorama sind also Bild und Ausstellungsraum untrennbar miteinander verschränkt."


Die Restaurierung des Bourbaki-Panoramas als Panorama

Garlinski zitiert aus Stephan Oettermanns Monumentalwerk "Das Panorama. Die Geschichte eines Massenmediums": "Das Panorama ist die Reaktion der Kunst auf die Entdeckung des Horizonts." Um ein paar Zeilen weiter unten festzustellen, dass die Entdeckung des Horizonts zum Schlüsselerlebnis einer ganzen Epoche wurde.

"Mit der Entdeckung des Horizonts und mit dem Panorama wurde der Blick aus seinen perspektivischen Verzerrungen befreit. Im barocken Theater noch hatte einzig der Fürst so gesessen, dass er das Bühnenbild unverzerrt sah. Im Panorama konnten dann alle von der zentralen Plattform aus das Riesengemälde perspektivisch 'richtig' betrachten: Unendlich viele Fluchtpunkte erstrecken sich zum rundum laufenden Horizont. Im Panorama wird der Blick demokratisiert und zur säkularisierten Form der göttlichen Allschau. Genau dies ist die Bedeutung des Kunstwortes Panorama: pan = alles, horama = sehen."

Und das gibt's im Panorama in Luzern und in Thun zu sehen:


Für die Fullscreen-Darstellung des Bourbaki- und des Wocher-Panoramas bitte aufs jeweilige Bild klicken.

Diese Rundgemälde als Gesamtkunstwerke sind in ihrer Totalität nur vor Ort zu erfassen und im Internet kaum zu vermitteln. Dem Panorama-Erlebnis am nächsten kommen die Fullscreen-Darstellungen von www.panoramafotos.ch, einer Fundgrube grossartiger Panoramen.

Basierend auf der Entdeckung des Horizonts als optisch/ästhetisches Phänomen, befreite das Panorama den Blick von perspektivischen Verzerrungen, veränderte im Zusammenspiel mit dem Aufkommen des Tourismus und der Reklame die Sehgewohnheiten nachhaltig und nährte mit der Verwischung der Differenz Wirklichkeit - Darstellung im panoramasüchtigen Bürgertum den Glauben, es gebe nur eine einzige, allen zugängliche Sichtweise der Realität — das Panorama als bürgerliche Sehschule für den demokratischen und objektiven Über-Blick.

"Im Panorama fand sich nicht nur die 'wahre Stadt', sondern auch die 'wahre Landschaft', die damit zur Ware Landschaft wurde. Die Stadtbewohner konnten in der Landschaft (Panorama, Passage, Wintergarten) flanieren, ohne den Launen des Wetters ausgesetzt zu sein, ohne auf die 'Facilitäten' der Stadt verzichten zu müssen. (...) Das Panorama war eine Lernmaschine des Sehens und ein Surrogat der Natur — die Landschaft verklärte sich zur Idylle, zur Staffage ihrer selbst.
Zugleich weckte das Panorama die Seh(n)-Sucht nach dem Original und nährte so den Mythos der unberührten Natur: Der Tourismus kam auf, die Pilgerreise zum Original."


Unterhalb der Fräkmüntegg — zum Vergrössern aufs Bild klicken!


Auf dem Kleintitlis — zum Vergrössern aufs Bild klicken!

A propos Panorama-Sucht: Das Hochnebelwetter — oben blau, unten grau — trieb uns, Frau Frogg und mich, dieses Wochenende in die Höhe, einmal auf die Fräkmüntegg (1416 m ü.M.) auf halbem Weg zum Pilatus, einmal auf den Titlis (3020 m. ü.M.). Und die Panoramabilder zeigen, dass das Original immer noch unübertroffen ist!

Auf dem Titlis habe ich übrigen festgestellt, dass zum Drehrestaurant noch eine Steigerung möglich ist: Im Drehrestaurant dreht sich die Landschaft um einen herum — in der Luftseilbahn Titlis Rotair dreht sich die Landschaft auch, überdies schwebt man durch sie hindurch berg- oder talwärts.

Alle Zitate aus GARLINSKI, Bojarek (1987): Lugaus ins Rings.
In: Tages Anzeiger Magazin, Nr. 33, 15.7.1987.

Donnerstag, 27. Januar 2011

Kann Stricken Kunst sein?

Diese Frage beschäftigt mich, seit Aqua die Frage CXXIII "Stricken oder Bloggen" aufgeworfen hat. Entgegen der landläufigen Meinung, dass Stricken etwas Biederes an sich hat, behaupte ich: Sie kann.

Für meine Antwort auf Aquas bestrickende Frage habe ich nach dem Stichwort Strickkunst recherchiert. Gefunden habe ich Urban Knitting:


Wie das Beispiel zeigt, kann Strickkunst auch subtil subversiv sein.

Und dann habe ich mich erinnert, dass ich von der Bürozüglete her noch Strickkunst in meiner Pultschublade habe:


Ein Objekt aus Draht, gestrickt von der Männedörfler Künstlerin Tatiana Witte. Hier der Link zu ihrer letzten Gruppenausstellung.

Für diese Strickkunst ist die Pultschublade zu schade - ich habe sie an einem guten Platz bereits wieder aufgehängt!

Mittwoch, 26. Januar 2011

Appenzeller Biber und türkischer Pfeffer

Beide heissen gleich, aber was hat der Appenzeller Biber mit dem türkischen Wort für Pfeffer zu tun? Ein Erklärungsversuch.

Wer hat's erfunden? Frau Frogg. Leicht geschockt hat sie sich schon vor längerem in ihrem Blog damit auseinandergesetzt, dass Pfeffer auf Türkisch "Biber" heisst, um dann gleich festzustellen, dass Biber nicht gleich Biber ist. Was in diesem Tütchen ist, ist eigentlich Karabiber, schwarzer Pfeffer. Biber wiederum ist der türkische Überbegriff für Peperoni, Paprika, Paprikaschoten, Pfeffer etc. sowie - das haben wir im Türkisch-Crashkurs gelernt und gekostet - eine Gewürzmischung, die individuell zusammengemischt wird und in keinem türkischen Haushalt fehlen darf, weil sonst das Essen nicht wie türkisches Essen schmeckt.

Das türkische Wort Biber ist ein Lehnwort aus dem Lateinischen (Piper nigrum). Frau Frogg meint, dass die Wörter Pfeffer, Piper und Biber alle indogermanischen Ursprungs sind, was höchstwahrscheinlich zutrifft, stammt doch der Pfefferstrauch ursprünglich aus Indien. Gemäss Wikipedia entstammt das Wort Pfeffer der indischen Bezeichnung für Langpfeffer, "Pippali". Pfeffer war ein kostbares Gut und wurde zeitweise mit Gold aufgewogen. Im Mittelalter hatten die Türken und Araber, später die Venezianer, das Monopol auf den lukrativen Gewürzhandel.

Aber warum nur heisst der türkische Biber gleich wie der Appenzeller Biber? Eine mögliche Antwort liefert die Wortgeschichte von Christian Schmid auf Radion DRS mit dem Titel «Biber» oder «Biberli», die der Frage nachgeht, warum das Appenzeller Lebkuchen-Gebäck "Biber" heisst. Es gäbe Belege, dass "Biber" oder "Biberli" früher Bezeichnungen für "Pfefferchüechli" oder "Lebchüechli" gewesen seien. Lebkuchen sind mit Pfeffer gewürzt, deshalb sei es gut möglich, dass Lebkuchen, die aus der klösterlichen Backtradition kommen, einmal - aus dem Lateinischen entlehnt - "Piper-Fladen" geheissen haben, meint Schmid. Ausserdem nenne man Lebkuchen weiter östlich nach wie vor "Pfefferkuchen".

Höchstwahrscheinlich ist der Appenzeller Biber also tatsächlich mit dem türkischen Biber sprachlich verwandt - der Missing Link ist der Pfeffer. Und wer's bezweifelt, soll doch von mir aus ins Pfefferland!

Dienstag, 25. Januar 2011

Filmtagefieber im Kreuz

Solothurn ist im Fieber, im Filmtagefieber. Auch im Kreuz herrscht der Ausnahmezustand: über der Beiz noch eine grössere Beiz im Saal, etwa dreimal soviel Personal wie sonst und fast rund um die Uhr offen.

Das Panorama zeigt die Filmtagebeiz im KreuzSaal in einem ruhigen Moment während des ersten Filmblocks. Kurz darauf strömen die Mittagsgäste in den Saal.


Zum Vergrössern aufs Bild klicken!

Und der Blick aus dem Fenster zeigt: Vor dem Landhaus stehen die Filmtage-BesucherInnen schon für den nächsten Film an.

Montag, 24. Januar 2011

Wänn Si e Güggli?

Als ich vor Jahren an einem Basler Kiosk Postkarten kaufen wollte, fragte mich die Kioskfrau: "Wänn Si e Güggli?" Ich muss sie so verständnislos angeschaut haben, dass sie ihre Frage wiederholte. Schliesslich begriff ich: Sie wollte wissen, ob ich ein "Papierseckli" wolle.

Basler und Baslerinnen werden sich ab dieser Geschichte ins Fäustchen lachen: So weit kommt's, wenn einer mit Zürcher Dialekt in Basel Postkarten kaufen will. Bei solchen Dialektproblemen schafft jetzt der kleine Sprachatlas vom Orell Füssli Verlag Abhilfe. Mit 120 Sprachkarten zeigt der Atlas auf, wo man was wie sagt - z.B. für einen Papiersack:


Ob allerdings die Kioskfrau am Bodensee fragen würde, ob ich eine "Chuchere" wolle, wage ich zu bezweifeln. Sicher ist nur, dass ich in diesem unwahrscheinlichen Fall ähnlich ghüüslet dreinschauen würde.

"Kleiner Sprachatlas der deutschen Schweiz" (2. Auflage im Huber Verlag Frauenfeld) war mein Weihnachtsgeschenk an meine Liebste und - ich geb's zu - ich habe auch meine Freude daran. Als Geograf kann ich meine Faszination für thematische Karten nicht verleugnen, wie regelmässige Leser und Leserinnen dieses Blogs sicher schon festgestellt haben.In diesem Sprachatlas überschneiden sich aber unsere Interessen perfekt: Ihr Interesse für Dialekt- und Soziolekt-Fragen und meine Freude an bunten und aussagekräftigen Karten. Hier noch ein Beispiel, das sehr schön zeigt, was ich meine und wie unglaublich vielfältig die Schweizer Dialektausdrücke für Löwenzahn sind:


Dem Löwenzahn sage ich übrigens "Chrottepösche"...

Sonntag, 23. Januar 2011

Saudische Frauen-Rockband

Wer hätte das gedacht? Aber das gibt es tatsächlich: eine saudische Frauen-Rockband. Sie heisst: The Accolade. In Saudiarabien dürfen die vier Frauen keine Konzerte geben, aber auf dem Internet sind sie hitverdächtig.

Auf Accolade gestossen bin ich durch die Sendung "International" von Fredy Gsteiger auf Schweizer Radio DRS über Saudi-Arabien - langsame Ankunft in der Gegenwart. Auf Youtube gibt es mehrere Songs von Accolade - ich finde, sie tönen wie westliche Rocksongs. Aber dieses Video hier wurde schon über 70'000 mal angesehen und hat schon fast 400 Kommentare bekommen - wer hätte das gedacht!


The Accolade - Frauen-Rock-Musik aus Saudi-Arabien

Samstag, 22. Januar 2011

Polit-Rap gegen Giganto-Silo

In Zürich wird am 13. Februar nicht nur über die Waffenschutzinitiative abgestimmt, sondern auch über ein gigantomanisches Silo, das mit 120 Metern Höhe alles bisher Dagewesene in den Schatten stellt.

Der Schatten, den dieser Betonkoloss zur besten Badezeit auf die benachbarte Badi wirft, ist denn auch der Stein des Anstosses. Mein Geografie-Kollege und AL-Gemeinderat Richard Wolff kämpft deshalb an vorderster Front gegen diesen Koloss von Swissmill, ein Tochter-Unternehmen von Coop. Seine einleuchtende Argumentation gegen dieses Getreide-Monster sind unter Swissmill - der Wurm im Turm nachzulesen.

In dieser Debatte, die in Zürich hohe Wellen wirft, erhält er Unterstützung von den Polit-Rappern Libero, Kesayer Shar, Faebs, Conflict und SGM, die mit "Sunne" einen zürichdeutschen Song gegen den geplanten Swiss Mill Tower ins Netz gestellt haben:



Der Wurm ist im Turm - Nein zum Getreide-Monster!

Donnerstag, 20. Januar 2011

Der Winter ist zurück


Der Blick von meinem Schreibtisch ins Wintermärchen...