Mittwoch, 10. April 2013
Montag, 1. April 2013
Ausserirdische Rüebli
Bildquelle: Kochblog von Kaffeebohne
Bildquelle: Kochblog der Wilden Henne
Bildquelle: www.gemuesehof.ch
Das Wurzelgemüse vom Blech hat meinen Gästen geschmeckt, doch nur zu gerne hätten wir gewusst, welche Karottensorten im Karotten-Triomix von Coop-Naturaplan drin waren. Meine Rüebli-Recherche ergab folgendes:
- Gemäss Wikipedia ist die Karotte (Daucus carota), auch bezeichnet als Möhre, Mohrrübe, Gelbrübe, Gelbe Rübe oder Rüebli eine Gemüsepflanze aus der Familie der Doldenblütler (Apiaceae). Karotten sind in der EU hinter den Tomaten das am zweitmeisten geerntete Gemüse.
- Die orange Sorte ist gar nicht so alt. Wahrscheinlich ist sie im 17. Jahrhundert in den Niederlanden entstanden durch die Kreuzung von gelben und von rotvioletten Karotten, die beide ursprünglich aus Afghanistan stammen.
- Bei den weissen Karotten, deren Ursprung im Mittelmeerraum liegt, vermuteten wir, es handle sich um Küttiger Rüebli, eine alte Schweizer Karottensorte, die in den 1970er Jahren wieder entdeckt wurde. Aber im Sortenfinder von Pro specie rara ist noch eine andere weisse Karottensorte aufgelistet, die in Frage kommt: die Blanche à Collet Vert.
- Die schwarz-violetten Rüebli sind eine neue Sorte mit dem Namen Beta Sweet, die in den 80er und 90er Jahren in Texas durch die Kreuzung einer fast schwarzen Ur-Karotte mit der uns vertrauten orangefarbenen Karotte entstanden ist.
- Die gelben Karotten schliesslich sind in der Schweiz als Pfälzer Rüebli bekannt — diese Sorte ist vermehrt auch im Supermarkt erhältlich, war aber nicht in meinem Triomix.
Und um auf das ausserirdische Rüebli zurückzukommen: Es heisst Beta Sweet, kommt aus Texas und sieht toll aus: aussen schwarz-violett und innen orange. Es sei carotinhaltiger als herkömmliche Sorten und schmecke etwas süsser, aber das kann ich aufgrund des Karottenviertels, den ich kosten konnte, nicht wirklich beurteilen.
Und ganz zum Schluss das Karotten-Universum nochmal in allen Farben:
Bildquelle: commons.wikimedia.org
Sonntag, 31. März 2013
Wahrheitsberg und Blumeninseln
1. Ascona — Festivalitis für Touristen
Ascona im Juni 2012: an der Hafenpromenade, in der für JazzAscona geschmückten Hauptgasse und einer herausgeputzen Nebengasse
Anlass für das Interview mit Sloterdijk ist der Primavera Locarnese, ein dreiteiliges vorösterliches Festival bestehend aus Eventi letterari auf dem Monte Verità mit dem Titel "Utopien und herrliche Obsessionen", einem Rahmenprogramm "Youtopia" und einem vom Filmfestival Locarno veranstalteten Filmprogramm "L'immagine e la parola". Eingeladen sind klingende Namen wie Stararchitekt Mario Botta, Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger und eben Philosoph Peter Sloterdijk, der mit Enzensberger und Gunhild Kübler die Frage diskutiert, warum Utopien scheitern. Das alles tönt interessant und recht verlockend, allerdings werde ich den Verdacht nicht los, der Locarneser Frühling diene vor allem einem früheren Start in die touristische Ostersaison, denn von den Einheimischen wird sich bestenfalls die deutschsprechende Fraktion für dieses Festival interessieren.Als wir im letzten Sommer Ascona besuchten, war auch gerade ein Festival im Gang: Überall standen Bühnen für die 28. Ausgabe von JazzAscona, einem Festival, das sich dem traditionellen Jazz und dem New Orleans Beat verpflichtet hat. Auch dieses Festival, das 2009 über 70'000 BesucherInnen anzieht, ist auf den Tourismus ausgerichtet: Mit seinem musikalischen Profil spricht es gezielt ein älteres, zahlungskräftiges Publikum an und hilft im Juni dem Locarnese beim Start in die Sommersaison. Für meine touristische Festivalitis-These spricht auch, dass sich 2009 der Verkehrsverein Lago Maggiore entschied, das Festival zu behalten und weiterhin selber zu veranstalten statt die Durchführung einer privaten Gruppe aus Deutschland zu überlassen (vgl. Geschichte von JazzAscona).
2. Wanderstart mit Treppenweg
Nach der Besichtigung des herausgeputzten Touristenstädtchens beginnt die Wanderung gleich hinter der Hauptgasse mit dem Aufstieg auf den Monte Verità, von wo wir hangparallel nach Ronco sopra Ascona weiterwandern und dann nach Porto Ronco am Lago Maggiore absteigen — ein Treppenabstieg, der es in sich hat und in die Knie fährt. Unsere Wanderroute:
Zum Vergrössern auf die Karte klicken!
Anreise von Locarno mit dem Bus der FART nach Ascona. Rot eingezeichnet ist unsere Wanderung treppauf zum Monte Verità, auf einem schönen Panoramaweg nach Gruppaldo und — weniger schön, aber aussichtsreich — auf asphaltierten Strassen nach Ronco und dann steil treppab zum Hafen von Ronco. Rückfahrt nach Locarno per Schiff der italienischen Navigazione Lago Maggiore mit einem Zwischenhalt auf den Isole di Brissago. Die roten Zahlen beziehen sich auf die Zwischentitel im Beitrag.
Quelle der Basiskarte: map.geo.admin.ch
Am oberen Ende des Treppenwegs zeigt der Blick zurück die schöne Lage von Ascona an der einen Ecke des Maggiadeltas, aber auch dass der beliebte Touristenort kein idyllisches Fischerdörfchen mehr ist.
3. Monte Verità — die Ruinen der gelebten Utopie
Auf dem Gelände des Monte Verità (im Uhrzeigersinn von oben links): Der Torre dell'utopia, die Villa Semiramis, eine erhalten gebliebene Open-air-Dusche und die Casa dei Russi, die russischen Studenten nach der Revolution von 1905 als Schlupfwinkel diente
Für Ise Gropius war der Monte Verità "der Ort, an dem unsere Stirn den Himmel berührt..." — schöner könnte man die magische Anziehungskraft nicht beschreiben, die vom Monte Verità ausging und heute noch legendär ist. Das Zitat stammt aus einem Text von Harald Szeemann, der 1978 durch seine vielbeachtete Ausstellung "Mammelle delle verità" den Hügel über Ascona wieder zu einem Gesamtkunstwerk machte. Der lesenswerte und mit historischen Bildern illustrierte Text veranschaulicht sehr schön das Leben der Pioniere auf dem "Berg der Wahrheit": "Ihre angestrebte Gesellschaftsform, die kooperative Systeme, Frauenemanzipation, Gewissensehe, neue Erziehungsformen, die Einheit von Seele-Geist-Körper in gelebte 'Wahrheit' umsetzen will, ist am besten als privat-besitzfreie urchristlich-kommunistische Gemeinde zu umschreiben."
Auf dem Monte Verità wurde diese Utopie zwar nicht in der Gemeinschaft gelebt, denn schon die GründerInnen verfolgten unterschiedliche Ziele. Aber einzelne verwirklichten ihre Ideale mit solchem Feu sacré, dass der "Berg der Wahrheit" rasch Idealistinnen und Utopisten, Aussteigerinnen und Aussenseiter der Gesellschaft aus ganz Europa und aus Übersee anzog: Theosophen, Lebensreformer, Anarchisten, Kommunisten, Sozialdemokraten, Psychoanalytiker, dann Literaten, Schriftsteller, Dichter und Künstler und schliesslich die Emigranten der beiden Weltkriege. (vgl. Harald Szeemann)
"Roue Oriflamme" (1962) von Hans Arp, einem der vielen Künstler, die vom Monte Verità magisch angezogen wurden.
Unser Mittagessen, ein Tintenfischsalat im Restaurant Monte Verità, hat sicher nicht den Idealen der "vegetabilen Cooperative" vor 100 Jahren entsprochen.
Der deutsche Bankier Eduard von der Heydt liess 1929 vom Architekten Emil Fahrenkamp ein Hotel im Bauhausstil errichten.
4. Hoch über dem Lago Maggiore
Der Panoramaweg der vom Monte Verità nach Ronco führt, verläuft zunächst in einem parkähnlichen, lichten Wald, dann auf einer geteerten Nebenstrasse durch die verstreuten Villen am Hang über dem Lago Maggiore und bietet immer wieder einen herrlichen Ausblick auf den Langensee, wie der See auf deutsch heisst:
Zum Vergrössern aufs Bild klicken! Das 180°-Panorama reicht vom Maggiadelta mit Ascona über den Monte Gambarogno bis weit nach Italien. Das andere Ende des Lago Maggiore ist nicht zu sehen: Es liegt rund 50 Kilometer südlicher in der Nähe von Arona (Provinz Varese).
Um zwei Uhr mittags wirkte Ronco wie ausgestorben — keine Menschenseele war zu sehen. Nicht einmal eine Katze huschte über die Dorfstrasse. Mit den Isole di Brissago vor Augen stiegen wir die Treppen nach Porto Ronco hinunter.
6. Die Navigazione Lago Maggiore
Die Schifffahrt auf dem Lago Maggiore wird von der italienischen Gestione Navigatione Laghi betrieben. Neben Längsfahrten von Locarno ins rund 40 Kilometer entfernte Stresa bietet sie Tragflügelbootverbindungen nach Luino, aber auch fünfminütige Überfahrten auf die Isole di Brissago an.
Unser nächstes Ziel, die Blumeninseln von Brissago, ...
... und der Blick zurück auf den Villenhang von Ronco.
7. Blumeninseln mit Frostschaden
In Extravagante Baronin hat Frau Frogg die interessanteste Geschichte, die mit dem botanischen Garten auf den Isole di Brissago verknüpft ist, sehr schön erzählt. Als wir die klimatisch milden Blumeninseln besuchten, waren etwa ein Drittel der subtropischen Pflanzen vom vorangegangenen kalten Winter frostgeschädigt — ein herber Rückschlag für den 1950 eröffneten Parco botanico. Trotz Frostschaden konnten wir uns an den prachtvollen Blüten kaum sattsehen:
Fragt mich nicht nach den Namen dieser wunderschönen Blumen — ich weiss nur noch, dass die weissen, feinen Blüten im untersten Bild zu einem australischen Teebaum gehören. Mit einem wohlverdienten Bier und einer stündigen Schiffsfahrt zurück nach Locarno endete dieser wunderschöne und abwechslungsreiche Ausflug nach Ascona, auf den Wahrheitsberg und die Blumeninseln von Brissago.
Mittwoch, 13. März 2013
Abstrakt-konkrete Landschaften
Thomas Muffs Bilder entstehen meist in zwei Phasen: einer abstrakten und einer konkreten. Die erste Farbschicht, die der Maler manchmal aus dezenten, oft aber aus leuchtenden Farben aufträgt, ist Ausdruck von kreativem Chaos: Es ist zwar nicht Action Painting, aber die Farben laufen runter, werden verschmiert, mischen sich. Es entsteht ein abstraktes Gemälde mit streifigen Strukturen, mit farbigen Schlingen und Schlaufen.
Auf diese abstrakte Grundlage projiziert der Künstler in einer zweiten Phase Fotos aus seinem Fundus und überträgt ausgewählte Elemente meist in dunklen Farben auf den farbigen Bildgrund aus der ersten Phase. Dabei entstehen konkrete Bildinhalte, die wie Scherenschnitte oder Schattentheater aussehen, streng-kontrolliert wirken und durch gezieltes Auswählen und Weglassen gleichzeitig eine witzig-verspielte Komponente einbringen. Während sich Thomas Muff in der ersten Phase bemüht, den chaotischen Prozess einigermassen unter Kontrolle zu halten, geht es in der zweiten Phase darum, die kontrollierte Strenge aufzubrechen.
Bis 2007 waren auch die Bildinhalte abstrakt: geometrische Formen wie Rechtecke, Kreise oder Kreuze. Seither wurden sie laufend konkreter, detaillierter und feiner — konsequenterweise sind mit der Konkretisierung der Inhalte Muffs Bilder nicht mehr O.T. sondern betitelt. Obiges Bild, mit Acryl und Öl auf Holz gemalt, trägt beispielsweise den Titel "Big China" und erinnert entfernt an fernöstliche Landschaftsmalerei, die ja auch nie eine konkrete Landschaft abbilden, sondern immer Gefühle vermitteln wollte.
An der Vernissage vom letzten Donnerstag sprach Kunstvermittler und Ausstellungskurator Urs Sibler, der das Museum Bruder Klaus in Sachseln leitet, von der Bilderküche des Künstlers — eine sehr anschauliche Beschreibung des Ateliers und der Arbeitsweise von Thomas Muff. Über Malerei zu schreiben und zu reden ist ganz und gar nicht einfach, aber Sibler gelang es, auf eine recht sinnliche und treffende Weise ins Werk des Krienser Künstlers einzuführen.
Die abstrakt-konkreten Landschaften von Thomas Muff vermögen zu faszinieren, weil er es schafft, dass die Gegensätze abstrakt und konkret sich gegenseitig befruchten: Das Abstrakte wird konkretisiert — das Konkrete abstrahiert.
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Die Einzelausstellung von Thomas Muff in der Luzerner Galerie im Zöpfli ist noch bis am 13. April 2013 zu sehen. Öffnungszeiten: Mi – Fr 13.00–17.30 Uhr, Sa 10.00–16.00 Uhr. Adresse: Im Zöpfli 3, 6004 Luzern.
Rechtzeitig zu dieser Ausstellung ist ein neuer Katalog der Werke von Thomas Muff erschienen. Der druckfrische Katalog ist in der Galerie im Zöpfli zu kaufen.
Samstag, 9. März 2013
Schnorri & Schlarpi weggeblasen
So ist es auch dem Sprecherhof, dem markanten Hochhaus kurz vor der Einfahrt in den Bahnhof Aarau, ergangen — es wurde in der Nacht auf Freitag gesprengt. Das Medienecho war schon im Voraus gross und entsprechend gross war auch der Aufmarsch an Schaulustigen:
75 Kilo Sprengstoff legen den 5000 Tonnen schweren Koloss aus Beton und Stahl in Schutt und Asche (Youtube-Video von webgardentv).

Der Tagi-Hintergrundbericht endet damit, dass der "Spreng-Künstler" der Nation, Roman Signer, gute Sprengung wünscht. Letzlich mag die Sprengung des Schnorri+Schlarpi-Hochhauses ein toller Event für Schaulustige gewesen sein, doch bezüglich Poesie sind die Sprengungen von Roman Signer nach wie vor unübertroffen:
Kurzer Ausschnitt aus dem 1995 entstandenen filmischen Künstlerportrait Signers Koffer (Vollversion) von Peter Liechti (auf Youtube hochgeladen von lyplo)
Donnerstag, 7. März 2013
Stadt-Land-Graben
Dass der Familienartikel trotz 54.3% Ja am Ständemehr scheiterte, ist halb so schlimm, denn die notwendigen Kinderbetreuungsplätze werden in den Städten auch ohne diesen Verfassungsartikel geschaffen und in den Gebieten, wo das traditionelle Familienbild noch aufrecht erhalten wird, würden sie auch mit Verfassungsartikel nicht entstehen. Wo wohnt diese konservative Minderheit, für die "staatsbetreute Kinder" des Teufels sind?
Zum einen zeigt die interaktive Karte mit den Abstimmungsresultaten nach Bezirken sehr schön den Röschti- und Polentagraben in der Familienpolitik: Die französische und italienische Schweiz wünschen mit 70.2% bzw. 66.0% Ja eine staatliche Förderung der ausserfamiliären Kinderbetreuung, während die Deutschschweiz (48.8% Ja), v.a. in den konservativen, ländlichen Gebieten, noch auf das traditionelle Familienmodell setzt. Zum anderen zeigt sie aber auch, dass sich in dieser Frage ein Stadt-Land-Graben auftut: Die grösseren Städte und die urbaneren Gebiete im Mittelland und im Baselbiet haben den Familienartikel ebenfalls angenommen. (Von den grösseren Städten ist auf der Karte nur St. Gallen nicht zu erkennen, aber die Stadt hat als einzige Gemeinde des Kantons mit 54.7% Ja dem Familienartikel zugestimmt.) Je nach Siedlungstyp stimmten in den Städten und Agglomerationen 51.1% bis 63.2% dem Familienartikel zu, nur in den ländlichen Gemeinden lehnten durchschnittlich 54.1% den neuen Verfassungsartikel ab.
Noch deutlicher wird der Stadt-Land-Graben, wenn man obige Karte mit einer Karte der Bevölkerungsdichte in der Schweiz vergleicht:
Die interaktive Karte des Bundesamts für Statistik zeigt die Bevölkerungsdichte pro Gemeinde für das Jahr 2010 (und in Zehnjahresschritten zurück bis ins Jahr 1850). Quelle: www.bfs.admin.ch
Abgelehnt wurde das neue RPG nur vom Kanton Wallis, zwei Waadtländer und einem Berner Bezirk sowie in den Nordtessiner Tälern und im Puschlav. Das Wallis ist diejenige Region, die mit der Rückzonung von zu grossen Bauzonen die grössten Probleme haben wird — verständlich, dass die Walliser, die auch in anderen Fragen sich nur ungern dreinreden lassen, das neue RPG mit satten 80.4% ablehnten. Unverständlich ist allerdings, dass die Walliser, die u.a. vom Tourismus leben und deshalb auf intakte Landschaften angewiesen sind, nicht schon längst etwas gegen die Zerstörung ihrer schönen Berglandschaft unternommen haben. Jetzt werden sie halt — wie schon bei der Zweitwohnungsinitiative vor einem Jahr — zu ihrem Glück gezwungen...
Auch bei dieser Abstimmung taten sich ein Röschti-und-Polenta-Graben und ein Stadt-Land-Graben auf, wenn auch diese Gräben etwas weniger tief waren als beim Familienartikel. Mit 51.8% bzw. 55.0% Ja stiess das Raumplanungsgesetz In der französischen und italienischen Schweiz auf wesentlich weniger Zustimmung als in der Deutschschweiz, die das neue Gesetz mit 66.8% Ja befürwortete. Während der Ja-Stimmenanteil von den urbanen Zentren zu den Agglomerationsgemeinden von 70.2% auf 63.2% abnimmt, haben die ländlichen Gemeinden mit 55.7% Ja deutlicher zugestimmt als die kleineren Landstädte, die keiner Agglomeration angehören und mit nur 53.7% Ja skeptischer waren. Zu vermuten ist, dass hier die Nein-Kampagne des Gewerbe- und des Hauseigentümer-Verbands noch am ehesten auf fruchtbaren Boden stiess, während sich auch in der ländlichen Bevölkerung allmählich die Erkenntnis durchsetzt, dass gegen die Zersiedelung etwas unternommen werden muss.
Quelle: Alle Karten und Zahlen stammen vom Bundesamt für Statistik.
Montag, 25. Februar 2013
Meh Dräck i de Tiwi-Wärbig
"Bang! And the dirt is gone!" Während dieser Claim von Cillit Bang mit "Bang! Und der Schmutz ist weg!" tipptopp ins Hochdeutsche übertragen wurde, bedeutet die Übersetzung ins Französische "Bang! Dites adieu à la saleté!" den höflichen Abschied vom Schmutz, was zwar nicht 1 zu 1 übersetzt, aber dennoch okay ist. Aber "Bäng! Und de Schmutz isch wägg!" ist kein richtiges Schweizerdeutsch, denn Schmutz ist "Dräck" — das wissen in der Deutschschweiz alle. Seit der Rockmusiker Chris von Rohr als Jurymitglied in der Talentshow MusicStar von den Kandidaten "meh Dräck" verlangte, entwickelte sich Meh Dräck zum Kultslogan und wurde 2004 in der Schweiz zum Wort des Jahres gewählt. "En Schmutz" hingegen ist etwas ganz anderes: ein Kuss. Rückübersetzt bedeutet der CH-Slogan also: Bang! Und der Kuss weg! Wenn schon Dialekt-Spots, dann ist es höchste Zeit, dass sich die Werber um korrektes Schweizerdeutsch bemühen: Bäng! Und de Dräck isch wägg!
Dienstag, 19. Februar 2013
Stadttour mit Wolff
Die Besichtigungstour durch den Zürcher Kreis 4 führte von der Sihllpost zum Güterbahnhof (Basiskarte: maps.google.ch, zum Vergrössern auf die Karte klicken!)
Geblieben ist die Idee, auf den nicht mehr benötigeten Bahnarealen zwischen Geleisefeld und Lagerstrasse ein neues Stadtquartier mit Hochschulen, Bürogebäuden und 500 Wohnungen zu bauen. 2006 stimmten die StadtzürcherInnen einem entsprechenden Gestaltungsplan zu — und seit 2009 ist der "halbe" HB Südwest tatsächlich in Bau, wenn auch das Projekt Europaallee mit dem ursprünglichen HB Südwest nur noch wenig gemeinsam hat.
1 Ein Campus für 3000 Studis
Blick vom Campusplatz zurück zur Sihlpost
2 SBB vergoldet Bahnareale
Im hintersten Gebäude auf dem Baufeld E entstehen Büro- und Verkaufsflächen sowie gehobene Stadtwohnungen und Penthouses.
"(...) Nach Abschluss aller Wettbewerbe zeigt sich eine wenig erfreuliche Bilanz, die den Gegnern recht gibt: Insgesamt sollen in der Europaallee bloss 373 Wohnungen entstehen, davon 115 luxuriöse Eigentumswohnungen, 72 Apartments in einer Seniorenresidenz 'für gehobene Ansprüche' sowie 186 Mietwohnungen mit noch unbekannten Mietpreisen. Für die 46 Eigentumswohnungen auf Baufeld G, die jetzt an die Meistbietenden versteigert werden, investieren die SBB — ohne Landkosten — rund 35 Millionen Franken und können mit einem Erlös von rund 100 Millionen Franken rechnen. Aus dem Gewinn errechnet sich ein geradezu obszöner Landpreis von 71'000 Franken pro Quadratmeter. Wohlgemerkt für Land, das die SBB-Vorgängerin Nordostbahn von Alfred Escher vor 150 Jahren für gerade mal 1 bis 10 Franken pro Quadratmeter erworben hat! (...)" (TA vom 16.2.2013)
3 AL fordert sozialen Ausgleich
Im Kreis 5, auf der anderen Seite der Geleise, herrscht eine Pattsituation: Die Grundstücke zwischen Bahngeleisen und Zollstrasse gehören einerseits den SBB, andererseits der Stadt Zürich.
4 Luxuswohnungen statt Rangierarbeiter
Der Blick zurück auf die Baustelle an der Europaallee und ein neuer SBB-Wohnbau an der Geleisefront bei der Langstrassenunterführung
Neue Luxuswohnungen an der Neufrankengasse. Auf der Bauwand steht: Ich würde ja sofort eine Luxuswohnung plattmachen — ich bin aber nur ein Plakat.
5 Verdichtung = mehr Wohnfläche für weniger Leute
Ehemaliges Wohnhaus des Kulturflaneurs an der Schöneggstrasse 34
1888/92 wohnten in den zehn 3-Zimmer-Wohnungen mit jährlichen Mietzinsen zwischen 400 Franken im abgeschrägten Dachgeschoss und 450 Franken im Parterre 18 Partien mit total 68 Personen. Als ich 1987 in diesem Haus wohnte, waren die gleichen zehn Wohnungen mit monatlichen Mieten zwischen 600 und 800 Franken (je nach Mietdauer und Renovationsgrad) mit 9 Partien und total 21 Personen belegt. In rund hundert Jahren hat sich also die Miete verzwanzigfacht, während die Belegungsdichte auf 30% gesunken ist.
In den 25 Jahren seither ist — soviel ich weiss — das Haus saniert und das Dachgeschoss ausgebaut worden. 2010 bot jemand, der auf eine Weltreise ging, im Internet seine möblierte 2-Zimmer-Wohnung in diesem Haus für 1200 Franken alles inklusive an. Die Miete hat sich also nochmals fast verdoppelt. Anzunehmen ist auch, dass die Belegungsdichte weiter abgenommen hat und heute in jeder Wohnung nicht viel mehr als eine Person wohnt.
6 Stadtbiotope in der Schneise fürs Tram
Urbane Freiräume am Gleisbogen
Andererseits: Wo nichts mehr geht, weil die alten Bauten weg müssen, aber das Neue — hier die Tramlinie 1 — noch nicht und vielleicht nie kommt, entstehen urbane Freiräume, in denen sich wenig zahlungskräftige, dafür aber flexible Nutzungen ansiedeln und die Kreativität aufblüht.
7 Verlorener Kampf gegen das PJZ
Dieser seltsame Betonpilz im Kohlendreieck ist das neue Baudienstzentrum der SBB.
Dem Abbruch geweiht: Der Güterbahnhof, seinerzeit der modernste in ganz Europa
Auf der einen Seite dieses Sägezahn-Güterbahnhofs wurden Güterwagen entladen, auf der anderen beladen: Unter dem Dach eines "Sägezahns" hatten drei Güterwagen Platz. Hinter dem denkmalschutzwürdigen Güterbahnhof wachsen die Hochhäuser von Zürich-West in den Himmel.
8 Kunst im Sägezahn-Güterbahnhof
Im Uhrzeigersinn: Ein "Sägezahn" als Galerie — Karl Geisers Vorlage für das Denkmal der Arbeit auf dem Helvetiaplatz — Köpfe von Otto Müller — Skulpturen von Trudi Demut
Unsere Stadtwandergruppe an der Führung durch die Ausstellung "Weitblick — Trudi Demut und Otto Müller, Wuhrsträssler und Wuhrverwandte über Alles und Jenes und Weiteres hinaus" in der Kunsthalle im alten Güterbahnhof
Ralph Baenziger, Architekt und Ausstellungskurator