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Freitag, 27. Dezember 2013

Ein Tag voller Überraschungen

Das dritte Etappenziel unserer Reise in die Südschweiz war Lugano. Hier erwartete uns ein Tag voller Überraschungen — gut, dass wir uns treiben liessen!


Überraschung: Schnee auf den Tessiner Hügeln


Am Vorabend hatte es gestürmt. Ein garstiges Herbstgewitter hatte die Gassen von Lugano leergefegt und meinen angeschlagenen Knirps endgültig zerstört. Dass es aber so tief runterschneien würde, hätten wir dann doch nicht gedacht!


Die Hügel nördlich von Lugano am 11.10.2013. Gemäss MeteoSchweiz gab es in den Bündner Bergen über Nacht bis zu einem halben Meter Neuschnee...

Und als ich frühmorgens vom Hotelbalkon Richtung Süden blickte, hätte ich nicht gedacht, dass uns ein so schöner Herbsttag erwartete.


Der Ausblick auf den Monte San Salvatore um 6 Uhr 46.


Überraschung: Stromausfall in der S-Bahn

Abends wollten wir Freunde im Mendisiotto besuchen und planten deshalb eine Wanderung mit Ausgangspunkt Mendrisio, doch es kam anders, weil der Strom ausfiel, kaum war der Zug in Lugano abgefahren. Der Lokführer liess die Komposition nach Lugano-Paradiso (1) hinunterrollen, wo er anhielt und die Passagiere aussteigen liess. Die Lautsprecherdurchsagen zur Fortsetzung der Fahrt blieben vage und verhiessen eine längere Wartezeit, so dass wir kurzerhand unsere Pläne änderten, ausstiegen und auf den San Salvatore fuhren.

Zum Vergrössern auf die Karte klicken! Unsere geänderte Wanderroute führte uns vom Monte San Salvatore über das Künstlerdorf Carona und einen bewaldeten Hügelzug nach Morcote, dem Inbegriff des Tessins. Variante: über den Höhenweg zur Alpe Vicania wandern und den steilen Treppenweg nach Morcote runtersteigen. Anreise von Lugano-Paradiso mit der Standseilbahn (gelb) auf den Monte San Salvatore, Rückreise von Morcote mit dem Schiff nach Lugano oder mit dem Postauto nach Melide und weiter mit dem Zug. Charakter: mittlere Hügelwanderung abwärts, Dauer: etwa 3 Stunden. Quelle der Basiskarte: map.geo.admin.ch


Überraschung: Frau mit Schleier

Ein bisschen überrascht und einigermassen irritiert war Frau Frogg, als wir in der Bergbahn auf den San Salvatore (2) auf eine orientalische Frau mit Schleier trafen — hatte doch zwei Wochen zuvor der Tessiner Souverän mit 65.4% Ja ein Burkaverbot gutgeheisssen. Diese Verfassungsänderung muss allerdings auch noch von den Eidgenössischen Räten abgesegnet werden.



Die Standseilbahn auf den San Salvatore — Talstation und Bahn.


Überraschung: Schöne Plakate auf dem Berg

Am Weg von der Bergstation zum Gipfel (2) zeigt die Dauerausstellung "Die Schweiz ein Wassererlebnis" 32 alte touristische Plakate aus den Jahren 1885 bis 1950 (vgl.
Ausstellungsbeschrieb als PDF): Schöne alte Plakate faszinieren mich — so auch diese touristischen Werbeplakate.




Von oben links nach unten rechts: Werbung fürs Bergell (1900) von Giovanni Giacometti, für den Lago di Lugano (1885), für Locarno, den Vierwaldstättersee und Lugano-Lido (alle 1928), für schöne Autofahrten und verbilligtes (!) Touristenbenzin (1939) und die Alpenposten der PTT (1937) — Tourismusgeschichte anhand von Tourismusplakaten.


Überwältigend: das Panorama

Der Rundblick vom Monte San Salvatore (2) war überwältigend, weil das Wetter und die Sicht viel besser waren, als wir am Morgen noch erwarten konnten:


Zum Vergrössern aufs Bild klicken! Der Tessiner Zuckerhut ist fast rundherum von einem See umgeben ist: vom Lago di Lugano. Im Südosten der Hügelzug Richtung Morcote, im Westen rechts vom Kommunikationsmasten das Seebecken von Agno, eine Hügelkette weiter hinten der Lago Maggiore, im Norden Lugano und das Tal Richtung Ceneri, die schneebedeckten Bergrücken des Monte Lema und des Tamaro, im Osten neben Lugano der Monte Brè, der See-Arm Richtung Porlezza und die italienische Exklave Campione, im Südwesten der Monte Generoso, der Damm von Melide und die Po-Ebene.


Überraschung: das Pilzrisotto im Grotto

Nach einem relativ steilen Abstieg erreichten wir den Weiler Ciona (3). Es war Zeit fürs Mittagessen, das Grotto hatte offen und servierte an den Steintischen der Gartenbeiz ein Pilzrisotto, das ausgezeichnet schmeckte.



Von der Rückseite sieht der Monte San Salvatore weniger imposant aus. Und das Grotto in Ciona kam uns grad recht...


Keine Überraschung: ein schmuckes Dorf

Dass das Künstlerdorf Carona (4) ein wahres Schmuckstück ist, war für mich keine Überraschung, denn vor Jahrzehnten war ich hier zweimal in den Sommerferien. Aber auch Künstlerpersönlichkeiten wie Meret Oppenheim, Kurt Kläber und Lisa Tetzner, Maria Braun, Hermann Hesse und nicht zuletzt Bertolt Brecht fanden Gefallen am schmucken Tessinerdorf hinter dem San Salvatore und verbrachten hier viel Zeit.


Aus irgendeinem Grund habe ich in Carona keine Bilder gemacht, deshalb hier stellvertretend ein Bild von www.carona-tourism.ch.

Unser Weg führte uns am Grab von Meret Oppenheim (1913 - 1985) vorbei, die auf dem Friedhof von Carona beerdigt ist. Auf Vimeo habe ich einen englischsprachigen Ausschnitt aus "IMAGO Meret Oppenheim", einem Künstlerinnen-Portrait (CH 1988, 16 mm, Farbe, 90 Min.), gefunden, der ganz am Anfang eine kurze Filmsequenz aus Carona zeigt:

IMAGO Meret Oppenheim by Pamela Robertson-Pearce & Anselm Spoerri (extract) from Neil Astley on Vimeo.


Überraschung: Stille Kirche mitten im Wald

Hinter dem weitherum bekannten Freibad von Carona, das im Sommer sogar Gäste aus Norditalien anzieht, befindet sich mitten im Wald eine stille Kirche: Santa Maria d'Ongero (5). Die 1624 erbaute Barockkirche wurde wegen eines mirakulös erhalten gebliebenen Marienbilds aus der früheren Kapelle zu einem Wallfahrtsort. Inzwischen ist es um die Kirche im Wald wieder still geworden...


Überraschende Aussichten

Der Weg führt allmählich hinab nach Morcote. Im lichten Wald (6) waren immer wieder der Lago di Lugano und das gegenüber liegende italienische Ufer zu sehen:



Wenig überraschende Tessiner Ikone

Morcote (7), die am Ende der Halbinsel gelegene "Perle am Luganer See", ist der tausendfach abgelichtete Inbegriff eines Tessiner Dorfs und deshalb nicht wirklich überraschend, aber immer noch attraktiv, wenn auch von parkierten Autos zugestellt:



Impressionen aus Morcote


Überraschung: Das Postauto kommt doch noch!

Wenn nicht noch andere Leute an der Haltestelle herum gestanden wären, hätten wir die Hoffnung, dass das Postauto doch noch fährt, aufgegeben. Doch mit einer für die Schweiz unüblichen Verspätung von fast einer halben Stunde brachte uns der postgelbe Bus nach Melide (8):

Der Damm von Melide ist ein verkehrstechnisches Nadelöhr: Auf engstem Raum führen Bahn, Strasse und Autobahn auf die andere Seite des Lago di Lugano.


Fazit: Eine überraschender Tag mit einer schönen Wanderung, die so nicht geplant war, bei unerwartet schönem Wetter.

Dienstag, 10. Dezember 2013

Shiva bei Schawi

Beide sind bekannt wie bunte Hunde: Mike Shiva, Oberhellseher der Nation, und Roger Schawinski, Oberschnorri der Nation. Gestern Abend war Shiva zu Gast in der 99. Ausgabe von Rogers Talkshow auf dem Swiss Tiwi. Und ich war gespannt, was rauskommt, wenn Schawi*) mit Shiva übers Wahrsagen, Hellsehen und Kartenlegen talkt.

Mike Shiva und sein Team sind zumindest zu Randstunden auf allen Kanälen — eine Liste der täglichen TV-Termine findet sich auf shiva.tv. Rund um die Uhr finden Ratsuchende Rat, allerdings ist dieser "gute" Rat teuer: Die Telefonberatung kostet in der Schweiz CHF 4.50, in Österreich EUR 3.63 und in Deutschland EUR 3.00 pro Minute — nicht wenig für ein bisschen plaudern. Die TV-Wahrsagerei ist ein sehr lukratives Business, jedenfalls für Mike Shiva, der gemäss Schawi ein Jahreseinkommen von 600'000 Franken versteuert.

Wenn's nicht so traurig wäre, wär's recht lustig wie Mike Shiva erklärt, warum man mit dem Fernseher nicht telefonieren kann. So wird der Fernseh-Hellseher zur Kultfigur...


Mike Shiva: "Ja, denn hänked mer ab...", Youtube-Video hochgeladen von retokurmann4

... und zur dankbaren Vorlage für Persiflagen...


Tomazobi, die Berner Guerilla-Troubaduren, haben sich von Shiva Mike zu einem Song inspirieren lassen (der Song beginnt ca. bei 4:00), Youtube-Video hochgeladen von schrillerillepunktch

... auch für den Komiker Mike Müller:


Giacobbo/Müller: Mike Shiva und seine neuen Berater, Youtube-Video hochgeladen von SISSufis

Schawi zeigte Shiva einen Ausschnitt aus diesem Video — mit Schawi bei Shiva als Berater — und fragte dann, wie er die Parodie finde. "Gut ... ich find's lustig", meinte Shiva cool, aber ein bisschen verunsichert. Zum Schluss der Talkshow testete Schawi Shiva und wollte wissen, wer in der 100. Ausgabe von "Schawinski" anstelle von Chef-Talker Schawi den Talk-Gast Schawi grillieren darf. Trotz hellseherischen Fähigkeiten langte Shiva Mike voll daneben: Er tippte auf Stephan Klapproth von "10vor10", das Publikum aber hatte sich für Sandro Brotz von der "Rundschau" entschieden — Hellseher-Pech für Shiva.

Wer sich Shiva bei Schawi in voller Länge (26:48) reinziehen will — hier der Link zu Roger Schawinski im Gespräch mit Mike Shiva auf SRF.

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*) In der Schweiz ist der rührige Medienunternehmer Roger Schawinski auch unter dem Kürzel "de Schawi" bekannt.

Mittwoch, 4. Dezember 2013

Reise in die Südschweiz 3

Für die dritte Etappe unserer Reise in die Südschweiz hatten wir uns den regnerischten Tag der ganzen Woche ausgewählt. Allerdings: Sogar bei Regen ist die Fahrt mit dem Palm-Express von Soglio im bündnerischen Bergell übers italienische Chiavenna nach Lugano im Tessin ein Erlebnis: Das Postauto fuhr den Gestaden des Lago di Como und des Lago di Lugano entlang — und wir sassen auf den Logenplätzen vorne neben dem Chauffeur. Eine Regenfahrt mit dem Palm-Express als Bildergeschichte.


Zum Vergrössern aufs Karte klicken! Unsere Reiseroute: Rot hervorgehoben sind die Bahnstrecken unserer Route, gelb die Abschnitte, die wir mit dem Postauto zurückgelegt haben. Die Etappenziele: 1 Miralago (im Puschlav), 2 Soglio (im Bergell), 3 Lugano und 4 Luzern



Kurz vor der Abfahrt in Soglio begann es zu regnen — vielleicht war das der Grund, dass wir zum ersten Mal ein bisschen ins Val Bondasca (ein Seitental des Bergells) und ein bisschen das Bergell runter zur nahen italienischen Grenze sahen.



Die Schokoladenwerbung in Promontogno, wo wir das Postauto wechseln mussten, ist schon ein bisschen angejahrt...




Stelldichein schweizerischer Postautobusse im italienischen Chiavenna, wo unser Chauffeur einen 20-minütigen Kaffeehalt einlegte und wir wenigsten einen ersten Eindruck gewinnen konnten.




Am Comersee auf der Strasse nach Menaggio — an sich eine schöne Fahrt, wenn's nur nicht so wüstes Wetter gewesen wäre...



Von Menaggio am Comersee führte die Strasse zuerst steil hoch und dann viel sanfter wieder runter zum nächsten See, dem Luganersee — und schon bald wurde das Wahrzeichen von Lugano sichtbar: der Monte San Salvatore.


Trotz Regen reichte es noch für ein Panorama — vom Hotelbalkon in Lugano schweift der Blick über den Lago di Lugano, den "Zuckerhut" des Tessins und die Dächer der Südtessiner Stadt.

Fazit: PostAuto verspricht eine Fahrt vom Schnee zu den Palmen, wir erhielten eine Fahrt vom wolkenverhangenen Bergell ins wolkenverhangene Tessin, wo uns nach einer stürmischen Nacht ein traumhaft schöner Tag erwartete...

Dienstag, 26. November 2013

Wo wohnen die Sozialisten?

Letzten Sonntag haben die Schweizer StimmbürgerInnen wieder einmal alles abserviert, was ihnen aufgetischt wurde: Mit 65.3% NEIN wurde die 1:12-Initiative für gerechte Löhne wuchtig verworfen, mit 60.5% NEIN die Preiserhöhung der Autobahnvignette von 40 auf 100 Franken bachab geschickt und mit 58.5% NEIN auch die Familieninitiative deutlich abgelehnt. Die Schweiz — ein einig Volk von NEIN-SagerInnen? Das könnte man vermuten angesichts der rot eingefärbten Karten mit den Abstimmungsresultaten, die in den meisten Medien präsentiert wurden. Doch bei allen Vorlagen gab es auch Gebiete, die gegen den Trend JA gestimmt haben.

Wo leben also diese "Utopisten", die am letzten Sonntag fanden, es genüge vollauf, wenn der Chef oder die Chefin eines Unternehmens maximal 12 mal soviel verdiene, wie der oder die schlechtest bezahlte ArbeitnehmerIn?










Die interaktive Karte mit den Abstimmungsresultaten nach Bezirken*) bringt es an den Tag: Die letzten Sozialisten der Schweiz wohnen in den Städten, wo die 1:12-Initiative mit durchschnittlich 40.4% JA auf die geringste Ablehnung stiess, aber vor allem im Freiberger Jura und in La-Chaux-de-Fonds, in den Tessiner Tälern und im Mendrisiotto, wo die 1:12-Initiative sogar angenommen wurde. Im von grossen Gegensätzen geprägten Tessin schaffte die 1:12-Initiative beinahe die Sensation: Mit 49% JA wurde das Anliegen gerechterer Löhne beinahe angenommen.


Ebenso uneinheitlich ist das Bild, das sich bei der Abstimmung über die Erhöhung des Autobahnvignettenpreises ergibt:










Angenommen wurde das Nationalstrassenabgabegesetz*) in den Neuenburger Jura-Bezirken Le Locle und La-Chaux-de-Fonds und im Walliser Bezirk Raron — alles Gebiete, die vom Netzbeschluss des Bundes profitiert hätten (vgl. folgende Karte). Angenommen wurde die Vorlage auch in den verkehrsgeplagten Städten Luzern und Zürich sowie in Solothurn.

Das uneinheitliche Bild ergab sich vermutlich auch deswegen, weil die Erhöhung des Vignettenpreises von einer unheiligen Allianz bekämpft wurde: Aus ganz unterschiedlichen Gründen lehnten sowohl die Autolobby als auch Grüne die Vorlage des Bundesrates ab.


Diese Karte aus dem Argumentarium des Bundesrats für die Erhöhung des Vignettenpreises zeigt, welche 400 Kilometer Autobahnen vom Bund übernommen und welche Umfahrungen aus den neuen Einnahmen finanziert worden wären (vgl. Argumentarien pro Autobahnvignette).


Bei der Familieninitiative tat sich wieder einmal der altbekannte Stadt-Land-Graben auf:










Betrachtet man diese Karte*), sind nicht nur die Kantone Schwyz und Uri, die die Familieninitiative angenommen haben, grün eingefärbt, sondern auch zahlreiche ländlich geprägte Bezirke im Wallis, im Berner Oberland, im Luzerner Hinterland, in der Nordostschweiz und im Bündnerland — dünner besiedelte, ländlich-konservative Gebiete, die jeweils von dichter besiedelten, urbaneren und fortschrittlicheren Bezirken in ihren Kanton überstimmt wurden.

Fazit: Ein NEIN bleibt auch bei genauerem Hinschauen ein NEIN, dennoch ist es interessant, wo wer nicht NEIN, sondern JA gesagt hat.

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*) Die Auflösung der drei interaktiven Karten lässt sich oben links mit einem Klick von der Bezirksebene auf die Kantonsebene umschalten. Alle Abstimmungskarten und Zahlen stammen vom Bundesamt für Statistik.

Sonntag, 24. November 2013

Wintereinbruch

Dieses Jahr ist er schon früh gekommen, der Winter. Doch jetzt ist der Schnee schon wieder weg und draussen ist es nur noch garstig. Ja im Unterland ist der Winter weniger als einen halben Tag wirklich schön, danach aber meistens nur lästig.

Vorgestern sah es von unserem Dachfenster so aus:


Das Panorama von unserem Dachfenster am 22.11.2013 um 09.25 Uhr, zum Vergrössern aufs Bild klicken!

So hat der Winter — auch wenn er früh kommt — etwas Schönes: Der Schnee packt die Landschaft in unschuldiges Weiss. Aber die Konsequenzen im Unterland sind unschön: Sobald es ein bisschen schneit, bricht der Verkehr zusammen. An Velofahren ist auf den schneebedeckten Strassen nicht zu denken, schon gar nicht, wenn Regen den schönen Schnee in Pflotsch*) verwandelt. Und die Züge sind an solchen Tagen noch voller, weil all die ängstlichen AutomobilistInnen ihr Auto stehen lassen und sich auf die Segnungen des öffentlichen Verkehrs besinnen.


Das Panorama von unserem Dachfenster am 23.11.2013 um 14.05 Uhr, zum Vergrössern aufs Bild klicken!

Anyway, gestern Nachmittag war zum Glück der ganze Schneespuk schon fast wieder vorbei.
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*) schweizerdeutsch für Schneematsch

Donnerstag, 21. November 2013

Kulturtankstelle

Als zweites Etappenziel unserer Reise in die Südschweiz hatten wir Soglio auserkoren. Obwohl Frau Frogg das Bergell schrecklich fand und deswegen kulturlose Gedanken wälzte, machten wir eine eigentliche Kulturwanderung.

Unsere Wanderung war distanzmässig eher ein Spaziergang:

Zum Vergrössern auf die Karte klicken! Von Soglio folgten wir zuerst ein Stück der Via Panoramico, die bis auf den Malojapass führt. Wegen des Nebels sind wir aber bei der ersten Gelegenheit via Muntac und Coltura nach Stampa abgestiegen. Nach der Besichtigung des Strassendorfs nahmen wir das Postauto zurück nach Soglio (Umsteigen in Promontogno). Dauer: etwa 2 Stunden. Quelle der Basiskarte: map.geo.admin.ch



1 Panoramaweg ohne Panorama




Wie schon am Vortag verhüllte dichter Nebel das prächtige Bergeller Panorama, aber am Wegrand gab es auch sonst einiges zu entdecken...


2 Ein Giacometti in der Kirche




Kultur zum Ersten: In der reformierten Kirche San Pietro ist ein Giacometti zu besichtigen — das Gemälde "Am Morgen der Auferstehung" in der Apsis stammt allerdings nicht vom weltberühmten Alberto Giacometti, sondern von dessen Onkel 2. Grades Augusto Giacometti (1877 - 1947), dem "Meister der Farbe", wie es auf seinem Grabstein steht.


3 Videokunst im Zuckerbäckerpalast





Kultur zum Zweiten: In Coltura bei Stampa stiessen wir auf die Rückseite des Palazzo Castelmur, ein 1723 von Johannes Redolfi erbautes Patrizierhaus. Erst als wir um das Gebäude herumgingen, realisierten wir, dass es sich um ein Scheinschloss handelt. Um 1850 nämlich liess Baron Giovanni de Castelmur (1800-1871) talseitig eine Erweiterung mit turmbewehrter Fassade in maurischem Stil anbauen. Dieser Palazzo ist ein eindrückliches Denkmal bündnerischer Rückwandererkultur, hatte es doch die Bergeller Familie Castelmur als Zuckerbäcker und Betreiber von Konditoreien in Südfrankreich zu ansehnlichem Reichtum gebracht. Als wohlhabender Mann und mit dem Titel eines Barons kehrte Castelmur ins Bergell zurück, wo er seine Cousine heiratete. Baron und Baronin genossen als Wohltäter des Tals grosses Ansehen, ihre Ehe blieb jedoch kinderlos.

In diesem Palazzo fand die Ausstellung Video Arte Palazzo Castelmur, die, als wir in Coltura waren, leider noch nicht offen hatte. Ein kurzer Bericht von art-tv.ch zeigt, was wir verpasst haben:







4 Kulturbefliessene Tankstelle



Weil das einzige Restaurant in Stampa ausgerechnet am Mittwoch zu hat, gingen wir bis ans Ende des Dorfs zu dieser Tankstelle, wo es einen ausgezeichneten Ristretto gab.

Kultur zum Dritten und ebenso wichtig wie der Ristretto: In der Kaffee-Ecke des Tankstellenshops lag das Du-Heft Nr. 835 über Giacometti und das Bergell — eine schöne und empfehlenswerte Nummer der Schweizer Kultur-Zeitschrift, die im April 2013 erschienen ist und hervorragend zu unserer Reise passt. Im Bergeller Talmuseum habe ich dann dieses Du-Heft käuflich erworben.


5 Die Giacometti und Varlin in der Ciäsa Granda

Stampa Museum
Die Ciäsa Granda in Stampa, Bild: Adrian Michael auf Wikimedia Commons.

Kultur zum Vierten im "Grossen Haus" in Stampa: Das Bergeller Talmuseum Museo Bregaglia Ciäsa Granda ist ein Allround-Museum: Es ist ethnographisches Museum, zeigt urgeschichtliche Fundstücke, thematisiert das Bergeller Handwerk, die Kastanienverarbeitung, die Auswanderung, die Zuckerbäcker und Cafetiers, stellt eine umfangreiche Mineraliensammlung sowie die Bergeller Fauna und Flora aus.

Wir interessierten uns vor allem für die grossen Künstler des Tals, die in einem eigens für sie gebauten unterirdischen Saal präsentiert werden: Rund 70 Werke von Giovanni Giacometti (1868 - 1933), seiner Söhne Alberto Giacometti (1901 - 1966) und Diego Giacometti (1902 - 1985), seines Coucousins Augusto Giacometti (1877 - 1947) sowie des Wahlbergellers Varlin (Willy Guggenheim, 1900 - 1977) sind da in einem Raum versammelt — eindrücklich, wie viele grosse Künstler das enge Tal hervorgebracht hat.

Der unterirdische Saal mit einem riesigen Bild von Varlin, "Die Leute meines Dorfes" (272 x 777 cm), Bild: www.ciaesagranda.ch.



Fazit: Das Bergell — aus Sicht der Restschweiz ein abgelegenes Tal — ist reich an Kultur. Auch wenn wir die Bergeller Zacken nie zu Gesicht bekommen haben, hat sich schon deshalb die weite Reise gelohnt.

Mittwoch, 6. November 2013

Berge, wie Bretter vor dem Kopf

Das schrieb der wortgewaltige Niklaus Meienberg über den Einfluss der Berge in Chur auf die Befindlichkeit der TalbewohnerInnen. Das Gefühl von Brettern vor dem Kopf hatte wohl auch der deutsch-österreichische Dichter Rilke. Als er den August und September 1919 in Soglio im Bergell verbrachte, schrieb er: "Ich hatte mir auch vorgestellt, auf ein offenes Italien hinunterzuschauen; es enttäuscht mich, dass auch da noch Berge im Wege sind." Als wir im Rilke-Zimmer des Hotels Palazzo Salis nächtigten, waren nicht einmal die Berge zu sehen: Die Bergeller Zacken waren wolkenverhangen — wie in Watte eingepackt.


Palazzo Salis — Übernachten wie Rainer Maria Rilke


Der 1630 durch Ritter Babtista von Salis erbaute Palazzo Salis erhielt 1701 seine heutige Form, wurde 1876 zum Gasthaus umgewandelt und 1998 von ICOMOS Suisse als Historisches Hotel des Jahres ausgezeichnet.




Der Palazzo Salis, ein beeindruckender Bau, das Interieur des Rilke-Zimmers und der Blick aus dem Fenster Richtung "offenes" Italien — wenn da nur nicht Dächer, Nebel und Berge wären...


Preisgekrönter Hotelgarten

2009 verlieh der Schweizer Heimatschutz dem historisch wertvollen Garten des Palazzo Salis den Schulthess-Gartenpreis für gartendenkmalpflegerische Erhaltungsmassnahmen und sanfte gärtnerische Erneuerungen, die sich ideal ergänzen und eine neue Harmonie schaffen würden. Diese Gartenanlage hat uns ohnehin gefallen:




Zwei prächtige Mammutbäume prägen nicht nur die Gartenanlage, sondern das ganze Dorfbild von Soglio, aber auch sonst gab es im nebelfeuchen Garten einiges zu entdecken.


Sehenswertes Dorf

Ein Rundgang durchs Dorf zeigt, dass Soglio eine Reise wert ist. Der Maler Segantini, der hier mehrmals überwintert hat, bezeichnete Soglio gar als "La soglia del paradiso", als "Schwelle zum Paradies". Das Dorf, abseits vom Durchgangsverkehr auf einer Sonnenterrasse gelegen, hat zwar nur 200 EinwohnerInnen, zählt aber gemäss Wikipedia fast 20'000 Logiernächte pro Jahr — wir sind also nicht die einzigen.




Pittoreske Gassen und schöne Steindächer prägen das Bergeller Bergdorf, das für die Touristen herausgeputzt ist.


Bergeller Berge

Warum sich Rilke freie Sicht aufs Mittelmeer oder zumindest auf ein offenes Italien gewünscht hat, weiss ich nicht, aber ich wäre schon mit einer freien Sicht auf die Bergeller Berge zufrieden gewesen.



Der Blick auf Soglio mit den beiden Mammutbäumen, das Val Bondasca (Seitental des Bergells) und die zackigen Bergeller Berge — einmal mit Wolken und einmal ohne (Bildquelle: Wikimedia Commons)

Schade, schade, schade...

Montag, 28. Oktober 2013

Reise in die Südschweiz 2

Die zweite Etappe unserer Reise in die Südschweiz führte vom einen Büdner Südtal über zwei Pässe ins andere: Von Miralago im Puschlav fuhren wir mit der RhB über die Bernina zurück nach St. Moritz im Engadin und mit dem Postauto weiter über den Maloja nach Soglio im Bergell — ein schönes Reisli vom Nebel in den Nebel.


Zum Vergrössern aufs Karte klicken! Unsere Reiseroute: Rot hervorgehoben sind die Bahnstrecken unserer Route, gelb die Abschnitte, die wir mit dem Postauto zurückgelegt haben. Die Etappenziele: 1 Miralago (im Puschlav), 2 Soglio (im Bergell), 3 Lugano und 4 Luzern


Zu Beginn der 2. Etappe lag dichter Nebel über dem See, der ...


... sich doch schon kurz vor Poschiavo lichtete.


Blick zurück auf das nebelnasse Poschiavo


Während der Lagh da Palü dem Stromproduzent Repower als Tagesspeicher dient, spielt er im neuen Pumpspeicherprojekt nur noch eine untergeordnete Rolle.


Eine Hauptrolle in den Pumpspeicherplänen spielt hingegen der Lago Bianco auf der Bernina — jahrelang Zankapfel zwischen Energiewirtschaft und Umweltverbänden.


Ein Exkurs zu Pumpspeicherkraftwerken

Im ursprünglichen Projekt wäre der Seespiegel des Lago Bianco um 17 Meter erhöht worden. Dieses umweltzerstörerische Projekt wurde von WWF und Pro Natura erfolgreich bekämpft. Anfang 2009 sistierte das Bundesgericht die Beschwerde der beiden Organisationen zu Gunsten von Verhandlungen. Herausgekommen ist dabei ein umweltfreundlicheres Projekt, zu dem auch der WWF Ja sagen kann: Der Lago Bianco wird nur um 4 Meter höher gestaut, der Talfluss Poschiavino wird vom Schwallbetrieb befreit und mit grösseren Restwassermengen dotiert und schliesslich werden die Gewässer im ganzen Puschlav gemäss eines neuen Gewässerentwicklungskonzepts revitalisiert und renaturiert.

Eine Win-Win-Situation sollte man meinen, ist doch auch Repower mit dem neu geplanten Pumpspeicherkraftwerk, das mit 1000 MW noch mehr Spitzenstrom produzieren wird als im alten Projekt, gut bedient. Doch das Lago Bianco-Projekt ist und bleibt ein Pumpspeicherkraftwerk, das billige Bandenergie zu Spitzenstrom veredelt: Nachts wird mit überschüssiger und deshalb billiger Bandenergie Wasser vom Lago di Poschiavo in den Lago Bianco hinaufgepumpt, das dann zur Mittagszeit, wenn der Bedarf am grössten ist und der Strom am teuersten verkauft werden kann, wieder turbiniert wird. Unter dem Strich wird so weniger Elektrizität produziert, denn für eine Kilowattstunde Pumpspeicherstrom braucht es 1.3 Kilowattstunden Pumpenergie, aber die Strommenge entspricht immerhin der Leistung des AKWs Gösgen.


Das Promovideo von Repower auf Youtube erklärt das neue Pumpspeicherprojekt und den mit den Umweltverbänden ausgehandelten Deal in allen Details und zeigt das Puschlav, den Lago di Poschiavo, den Lago Bianco und die Bernina bei schönstem Wetter.

Für Repower, die an Windparks in Deutschland, Italien und Rumänien beteiligt ist, macht es durchaus Sinn, die unregelmässig anfallende Windenergie auf der Bernina zu speichern. Die Bündner Bevölkerung hingegen hat am 22. September 2013 mit 56% Ja zur Initiative "Ja zu sauberem Strom ohne Kohlekraft" und in der Stichfrage mit einem hauchdünnen Mehr von 137 Stimmen (gemäss Nachzählung) dafür gesorgt, dass Repower nicht mehr in dreckige Energieproduktion investieren darf und aus dem Kohlekraftwerksprojekt Saline Joniche in Kalabrien aussteigen muss (vgl. Der Bund vom 22.9.2013).

Ob es sinnvoll ist, die Alpen in die "Batterie Europas" zu verwandeln, ist überhaupt nicht sicher. In einem Factsheet zur Pumpspeicherung hält die Schweizerische Energie-Stiftung fest,
  • dass die 8 in der Schweiz geplanten Pumpspeicherkraftwerke allein fürs Pumpen Strom von drei AKW Mühleberg brauchen würden und dafür zusätzliche Hochspannungsleitungen gebaut werden müssten,
  • dass der "weiss zu waschende Überschussstrom" auch in Zukunft überwiegend aus Atom- und Kohlekraftwerken kommen wird,
  • dass weder die Versorgungssicherheit, noch der europäische Windboom und auch nicht der Ausbau der erneuerbaren Energien im Inland den massiven Ausbau der Pumpspeicherkapazitäten rechtfertigen und
  • dass die heute noch lukrative Pumpspeicherung wahrscheinlich schon bald nicht mehr rentiert, weil sich die Preisdifferenz zwischen billigem Nachtstrom und Tagesspitzen verringern wird.

Von der Bernina ins Bergell


Vom Ospizio Bernina (2'253 m ü. M.) geht es weiter ...


... vorbei am Morteratschgletscher nach St. Moritz.


Von St. Moritz fahren wir mit dem Postauto den Oberengadiner Seen entlang.


Vom Maloja (1815 m.ü.M.) geht es in vielen Kehren runter ins nebelverhangene Bergell.


In Promontogno, wo wir aufs Postauto nach Soglio umsteigen mussten, hatte das Arte Hotel Bregaglia schon wieder zu — dieses Kunstprojekt, das diesen Sommer bereits zum 4. Mal stattfand, hätte mich interessiert...


Fortsetzung folgt!