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Freitag, 8. Juli 2011

Shanshui — Post-Shanshui

Mit der Verhaftung des Ko-Kurators Ai Weiwei machte die Ausstellung «Shanshui - Poesie ohne Worte? Landschaft in der chinesischen Gegenwartskunst» im Kunstmuseum Luzern schon vor ihrer Eröffnung von sich reden (vgl. Eintrag vom 23 Mai). Gestern habe ich mir endlich die Ausstellung angesehen: Was auf Anhieb beschaulich tönt, entpuppt sich beim genauen Hinsehen als interessante Auseinandersetzung chinesischer Gegenwartskunst mit der 1500 Jahre alten «Berg-Wasser-Malerei».

In einem Kabinett am Anfang der Ausstellung zeigen die drei Kuratoren Ai Weiwei, Peter Fischer und Uli Sigg einige historische Shanshui-Bilder, damit klar wird, auf welche lange und reiche Tradition sich die chinesischen GegenwartskünstlerInnen beziehen. Diese Leihgaben aus dem Museum Rietberg in Zürich und dem Musée Guimet in Paris sind sozusagen das Resumée der über tausend Jahre alten Tradition der Landschaftsmalerei — es versteht sich von selbst, dass mit ein paar wenigen Werken kaum gelingen kann, die damit verbundene Philosophie und Gedankenwelt zu vermitteln. Den damaligen Künstlern aus der gebildeten Oberschicht ging es nicht darum, Natur perfekt abzubilden, sondern ihre Gefühle und bestimmte Botschaften zu vermitteln. Die gemalten Landschaften waren also Ausdruck der eigenen Persönlichkeit und oft ein Code für persönliche Messages, politische Aussagen beispielsweise. Verlässt man das Kabinett mit den historischen Shanshui-Werken, hat man immerhin einige Bilder oder Malstile im Kopf, die man vielleicht schon früher einmal gesehen hat, und weiss, dass klassische Shanshui-Bilder Tuschmalereien sind oder als Blau-Grün-Landschaften daherkommen.


«Chinese Landscape Tattoo, No 6» von Huang Yan
(C-Print, 50,5 x 61,5 cm, 1999)
Quelle der Bilder: Kunstmuseum Luzern

Der Katalog unterscheidet bei den neueren Shanshui-Werken zwei Perioden: die ideologisch weiterentwickelte Shanshui-Malerei der Moderne (spätes 19. Jahrhundert bis Ende der Mao-Ära) und postmoderne Shanshui-Bilder. Die eigentliche Ausstellung umfasst etwa 70 Werke chinesischer Gegenwartskunst, die alle aus der Sammlung Sigg stammen und einen Bezug zur traditionellen Shanshui-Malerei haben. Bei fast allen Werken geht es naturgemäss um Landschaft und einen eigenen Anknüpfungspunkt des Künstlers oder der Künstlerin:

Landschaft & Körper
Huang Yan beschäftigte sich eingehend mit der klassischen Shanshui-Malerei und kam zum Schluss, dass die damaligen Literati-Maler sich mit ihren Landschaften selbst darstellten. Er schreibt: «Eine Landschaft zu malen heisst, einen Menschen zu malen, sich selbst zu malen.» Huang Yan begann 1994 sich selber zu bemalen — mit chinesischen Landschaften. Die Serie «Chinese Landscape Tattoo» (Bild oben) besteht aus Fotografien vom Oberkörper und den Armen des Künstlers in unterschiedlichen Posen — sehr eindrücklich.


«It Looks Like a Landscape» von Liu Wei
(Digitalfotografie, 306 x 612 cm, 2004)

Die Körperteile, die auf dem Post-Shanshui-Bild von Liu-Wei abgebildet sind, sehen tatsächlich aus wie eine chinesisch Landschaft, tauchen shanshuimässig aus dem Nebel auf — und zaubern einem ein Schmunzeln aufs Gesicht.

Landschaft & Stadt
China besteht zwar aus weiten, fast menschenleeren Landstrichen, aber heute auch aus boomenden Mega-Cities, so dass zeitgenössische Shanshui-Künstler nicht umhin können, sich mit chinesischen Stadt-Landschaften zu befassen:


Detail von «View of Tide» von Yang Yongliang
(Inkjet-Print auf Reispapier, 45 x 1000 cm, 2008)

Bei diesem zehn Meter langen Bild von Yang Yongliang lohnt es sich genau hinzuschauen: auf den ersten Blick sind Berge und Wasser in einer fast unendlichen Abfolge arrangiert wie in klassischen Shanshui-Bild, auf den den zweiten Blick entpuppen sich die Berge als Berge von Hochhäusern und die Wälder als Wälder aus Starkstrommasten und auf den dritten Blick gibt es viele kleine Details zu entdecken.

Auch Ai Weiwei beschäftigt sich mit Stadt-Landschaften: ein ganze Wand voll grossformatiger Fotos (C-Prints, 97 x 122 cm), die «Provisional Landscapes» zeigen, Stadt-Landschaften im rasanten Wandel. Ihnen allen gemeinsam ist, dass das Alte schon verschwunden, das Neue aber noch nicht da ist. Die unterschwellige Botschaft dieser Post-Shanshui-Landschaften ist Trauer über das Verschwundene und Neugier auf das, was noch kommt. Geile Stadtbilder, die die rasend schnelle Veränderung der chinesischen Städte dokumentieren und vielleicht auch anprangern.

Landschaft & Technologie
Die rasante und oft destruktive technologische Veränderung Chinas wird ebenfalls zu einem Thema der Post-Shanshui-Künstler:

«Untitled (Flight Plan)» von Yuan Xiaofang
(Öl auf Leinwand, 160 x 200 cm, 1994)

Yuan Xiaofang verwendet in seinen poppigen Landschaftsbildern Blau-Grün-Landschaften von Shanshui-Malern der Nördlichen Song-Dynastie (960 - 1127) und kontrastiert sie mit Kampfjets und Helikoptern. Diese Fluggeräte, die auf zum Teil aggressiv auf den Betrachter zufliegen, wirken wie Fremdkörper über einer entrückten, «heilen Welt». Idyllische Landschaften aus Vergangenheit und brutale Technologie der Gegenwart in einem Bild zu vereinen — das kann nur ein Post-Shanshui-Künstler aus China.

Bei den 70 ausgestellten Post-Shanshui-Werken handelt es sich nicht nur um Bilder, es sind auch einige Videoarbeiten, Rauminstallationen und Plastiken dabei. Nicht alle Werke vermochten mich zu packen, aber viele sind sehenswert und einige faszinierend. Auch ohne Bezug zur klassischen Shanshui-Malerei ist diese sorgfältig gemachte Ausstellung chinesischer Gegenwartskunst absolut sehenswert, die spürbare Auseinandersetzung dieser zeitgenössischen Künstler und Künstlerinnen mit einer vergangenen Kunsttradition macht sie aber besonders interessant und einzigartig — eine spezielle Ausstellung, die in dieser Art nicht so schnell wieder zu erleben sein wird.

Die Ausstellung «Shanshui - Poesie ohne Worte? Landschaft in der chinesischen Gegenwartskunst» im Kunstmuseum Luzern dauert noch bis am 2. Oktober 2011.

Der Katalog in Deutsch und Englisch, herausgegeben von Peter Fischer, ist eine tolle Dokumentation mit erhellenden Texten von Ai Weiwei, Nataline Colonnello, Britta Erickson, Peter Fischer, Hu Mingyuan, Katja Lenz, Uli Sigg, Yin Jinan und Zhang Wei. Er umfasst 240 Seiten, ist 2011 im Hatje Cantz Verlag, Ostfildern (D), erschienen, kostet 54 Franken und ist im Museumsshop erhältlich.


Mittwoch, 6. Juli 2011

Zackenbarsch in drei Phasen

Das Essen in der Türkei sei ähnlich wie das griechische Essen — nur besser. Dieser Aussage kann ich nur zustimmen. Türkisches Essen ist weit mehr als Döner Kebab oder Lahmacun — die Mezeler (Vorspeisen) sind meist so hervorragend, dass man locker den Hauptgang weglassen kann. Aber am Meer sollte man keinesfalls auf "tagfrischen" Fisch verzichten.

Im Strandrestaurant im idyllischen Badeort Çıralı assen wir einen Zackenbarsch, den besten Mittelmeerfisch, wie uns der Kellner versicherte.

Phase I: Der Fisch unserer Wahl auf der Waage

Dieser Zackenbarsch wog knapp ein Kilo und kostete gebraten auf dem Teller 70 türkische Pfund, also etwa 42 Franken.

Phase II: Der gebratene Fisch wird serviert

Der Kellner brachte den gebratenen Zackenbarsch, der auf geniale Art und Weise bereits in zwei Teile geteilt war.

Phase III: Was von einem Zackenbarsch übrigbleibt

So ein Zackenbarsch ist wahrlich nicht zu verachten und wir haben uns nicht einmal überessen!

Montag, 4. Juli 2011

Antalya ist eine Reise wert

"Antalya ist ohne Zweifel die schönste Stadt der Welt", soll Kemal Atatürk, Begründer der modernen Türkei, in den 30er Jahren einmal gesagt haben. Das war sicher schon damals ziemlich übertrieben, aber auch heute noch gibt es gute Gründe für eine Reise nach Antalya:

1. Lange Geschichte


Erst 158 v.Chr. von König Attalos von Pergamon gegründet, ist Antalya zwar für anatolische Verhältnisse eine relativ junge Stadt, hat aber in über zwei Jahrtausenden dennoch schon viel erlebt, das im Stadtbild Spuren hinterlassen hat. 130 n.Chr. kam z.B. der römische Kaiser Hadrian auf Besuch. Zu seinen Ehren wurde dieses Tor errichtet. Später war Antalya eine wichtige Hafenstadt: Hier schifften z.B. die Kreuzfahrer nach Palästina ein. 1207 eroberten die Seldschuken die Stadt. Von 1391 bis 1918 hatten schliesslich die Osmanen das Sagen.

2. Tolles Museum



Die Mittelmeerküste der Türkei ist ein Paradies für Archäologen: An jeder Ecke finden sich irgendwelche Trümmer und Fundstücke aus der Vorzeit — das Antalya Müzesi präsentiert nur die schönsten und interessantesten Relikte aus der Region. Es verfügt über eine der bedeutendsten archäologischen Sammlungen der Türkei und ist damit ein absolutes Must für Kulturinteressierte. Dieses wunderschöne Relief einer bacchanalischen Szene z.B. ziert einen der zahlreichen Sarkophage. Frau Frogg, die das Bild gemacht hat, war ganz begeistert...

3. Schöne Altstadt



Die Ferienmetropole mit rund 700'000 EinwohnerInnen hat aber auch — wer hätte das gedacht — eine sehenswerte Altstadt mit schönen, alten Häusern, verwinkelten Gassen und lauschigen Ecken. In Kaleiçi, so heisst Antalyas Altstadtquartier innerhalb der historischen Stadtmauern, gibt es zahlreiche kleinere Hotels und Pensionen, die sich als Ausgangspunkt für Ausflüge in die Region oder auch an den Strand bestens eignen.

4. Guter Ausgangspunkt

Antalya ist ein guter Ausgangspunkt für Ausflüge in die Region: Sei es ein mehrtägiger Ausflug mit einem traditionellen Gulet-Holzboot, sei es eine Exkursion zu den Ruinen von Termessos oder Perge, sei es eine Fahrt an die Düden-Wasserfälle, sei es ein Konzert mit den Wiener Philharmonikern in einem antiken Amphitheater — in Antalya ist das Angebot möglicher Ausflüge riesig, doch wie so oft in der Türkei ist es weiter als man denkt.

5. Wasserspiele

Antalya ist eine Stadt der Wasserspiele. Schon am zweiten kamen wir an einer Brunnenanlage vorbei, die in einer Choreografie zu Richard Wagners Walkürenritt Wasser in Fontänen aufsteigen, kreuz und quer spritzen und plätschern liess. Was schon am Tag zahlreiches Publikum anlockte, muss nachts noch spektakulärer aussehen, wie dieses Youtube-Video zeigt:


Wasserspiele zur Hymne auf Alanya

Samstag, 2. Juli 2011

Vom eigenen Kondensstreifen überholt

Vor zwei Wochen bin ich mit Frau Frogg in die Ferien verreist — nach Antalya in der Südtürkei. Wir haben viel erlebt, so dass wir in nächster Zeit beide viel Stoff zum Bloggen haben.

Mit diesem Vogel sind wir von Zürich nach Antalya gedüst. Obwohl Frau Frogg immer "flypigs.com" las und wir im Internet auch etliche negative Kritiken über diese Billigfluglinie gefunden haben, waren wir letztlich positiv überrascht.

flypgs.com

Anyway, wer weiss, dass ich Sohn eines Swissairlers und Geograf bin, kann sich vorstellen, dass ich liebend gerne fliege und dabei am liebsten am Fenster sitze und versuche, auf der Karte nachzuvollziehen, wo wir gerade drüberfliegen. Leider hatten wir keinen Fensterplatz mehr ergattern können, aber die Dame neben uns trat mir ihren Fensterplatz netterweise ab.

Und so sah ich unmittelbar nach dem Start links unten das Dorf, in dem ich aufgewachsen bin, den Katzensee, ein beliebter Badesee in der Agglomeration Zürich, das Zürcher Oberland, den Säntis und die Stadt St. Gallen, den Bodensee, das Rheintal und den Flughafen Altenrhein. Dann wurden die Wolken so dicht, dass die Landschaft darunter nicht mehr zu erkennen waren.

Wenigstens wurde auf der Karte, die auf den vielen Monitoren in unserer Boing 737 zu sehen war, unsere aktuelle Position angezeigt: Wir flogen über Österreich, einen Zipfel Deutschland, wieder Österreich, die nordöstliche Ecke Italiens, Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina — jede Viertelstunde ein neues Land. Über Serbien tat sich ein Loch auf in der Wolkendecke und die Mäander der Donau waren zu erkennen.

Dann wurden die die Wolken wieder dichter und ich erkannte auf der Wolkendecke einen grauen Streifen, der genau parallel zu unserer Flugroute verlief. Merkwürdig, dachte ich, da ist eine andere Maschine genau auf unserer Route geflogen und hat einen Kondensstreifen hinterlassen, dessen Schatten ich jetzt sehe. Der Pilot muss nur dieser Linie lang fliegen und wir kommen nach Antalya. (Ich weiss natürlich, dass Flugzeuge meist vom Autopiloten gesteuert werden.) Dann realisierte ich, dass die Sonne so flach und schräg von hinten schien, dass ich den Schatten des eigenen Kondensstreifens sah. Der Schatten unseres Flugzeugs war ausserhalb meines Blickfelds, aber ich bin mir sicher, dass unsere Piloten immer dem eigenen Schatten nachflogen...

Über Bulgarien wurde es dunkel und von Griechenland waren anhand der Lichter nur noch die Küstenlinien zu erkennen. Über dem spärlich besiedelten Inneren der Türkei dann nur noch rabenschwarze Nacht mit einzelnen Lichtern, die wie Sterne von unten herauffunkelten, erst im Anflug auf Antalya waren unter uns wieder einzelne Details auszumachen.

Donnerstag, 16. Juni 2011

Kunstsinnige Richter

Kunst im Gerichtsgebäude? Kann man sich gar nicht so recht vorstellen — doch Kunst lockere die angespannte Stimmung und erleichtere den Zugang zu den Parteien, sagt der kunstsinnige Richter, der sich auf das Experiment eingelassen hat.

Diese Woche hatte ich meine letzte Sitzung in der kantonalen Kulturförderungskommission — nach acht Jahren ist dieses kulturelle Engagement wegen Amtszeitbeschränkung zu Ende. Jetzt sollen andere darüber entscheiden, welche Kulturprojekte im Kanton Luzern förderungswürdig sind und welche nicht. Das Plenum vor den Sommerferien findet jeweils an einem Kulturort im Kantonsgebiet statt. Diesmal im Bezirksgericht Hochdorf, Abteilung III, an der Hohenrainstrasse. Das Bezirksgericht: ein Kulturort? Aber ja doch.


Dieses im Kulturmagazin vom Mai 2011 publizierte Bild stammt zwar nicht aus dem Bezirksgericht Hochdorf, sondern aus dem Haftgericht Kriens, zeigt aber, dass es gar nicht so einfach ist, passende Bilder für einen Gerichtssaal zu finden. "Kanten und Ecken, Faltungen und Schnitte. Und immer ein kleiner Lichtblick. Im Gerichtssaal des Haftgerichts in Kriens." Peter Meuli, Präsident des Zwangsmassnahmengerichts, vor einem Werk von Flurin Bisig, o.T. (Faltung G. 5 I-IV), 2010. Quelle: Kulturförderung des Kantons Luzern.

Im Rahmen der Reorganisation der Gerichte zügelte ein Teil des Amtsgerichts Kriens nach Hochdorf und bezog ein frisch renoviertes Gebäude aus den 40er/50er Jahren. Auf Initiative des Leiters der Abteilung III, Thomas Trüeb, wurden die neuen Räumlichkeiten mit Kunst aus der kantonalen Sammlung bestückt. Das Konzept für die Kunst im Gericht stammt von Raphael Egli und Beat Stalder, Mitglieder der Fachgruppe Kunst der Kulturförderungskommission. Ein interessanter Prozess (der genius loci schlägt durch) mit interessanten Fragestellungen: Welche Werke passen in einen Gerichtssaal? Was sollen die Leute anschauen, die angespannt auf ihren Gerichtstermin warten? Etwas Beruhigendes oder etwas, das ihre Situation illustriert?

Die Antwort auf die letzte Frage lautet im Fall des Bezirksgerichts Hochdorf: Beides. Im Warteraum hangen einerseits zwei Bilder, die eine eigenartige Ruhe ausstrahlen — sie zeigen Gärten und spiegeln damit auch das, was aus dem Fenster des Raums zu sehen ist. Andererseits ist da auch diese Videoarbeit "Stapfen" (2009) von Michelle Grob installiert, die eine stapfende Frau zeigt, die immer grösser wird, bis sie den Rahmen "sprengt", und dann mit jedem Stapfen wieder etwas schrumpft. Als ob sie nichts anderes zu tun hätte und mit dem Stapfen die Langweile bekämpfen könnte.

Quelle dieses Bilds und der folgenden Bilder: Kunstankäufe 2010 und 2011.

Oder mit welcher Kunst sollen Leute in einem polizeilichen Verhörraum konfrontiert werden? Die Polizisten waren erstaunlich offen und akzeptierten zwei recht gegensätzliche und einigermassen gewagte Bilder:

"Gartenstuhl (Gardasee, Italien)" von Raphael Egli (190x180, 2009) und "Flieder" von Nikolaus Schärer (53x70, 2010)

Im Eingang des Gerichts hängt eine ironische Arbeit mit dem Titel "La Suisse 1990 HC 6/30" von Armand Pierre Fernandez (1928 - 2005). Das Bild ist eine Art Schweizerkarte und besteht aus lauter Stempelabdrücken von amtlichen Stempeln — da ist ein Obwaldner Stempel in Genf, ein Luzerner Stempel im bündnerischen Misox usw. — kurz: ein künstlerisches Statement gegen den Kantönligeist und in diesem Kontext auch gegen den Amtsschimmel, der an solchen Orten immer wieder mal zu wiehern droht.

Foto aus der Dokumentation von Raphael Egli und Beat Stalder: "Kunstwerke aus der Sammlung des Kantons Luzern", ausgestellt im Polizei- und Bezirksgerichtsgebäude Hochdorf

Ich bin beeindruckt und hätte nicht gedacht, dass man solche Räumlichkeiten so (hinter)sinnig mit Kunst bestücken kann.

Montag, 13. Juni 2011

Krasse Schratten

Diese Wanderung hatten Frau Frogg und ich schon lange auf unserer Wunschliste: über die Silberen, ein Karstgebiet beim Pragelpass zwischen dem Schwyzer Muotatal und dem Glarner Klöntal.

Abenteuerlich war schon die Anreise: Wir fuhren am Vortag ins Muotatal — bekannt für seine Wetterschmöcker, den Witz-Wander-Weg und das Höllloch — und übernachteten im Hotel Alpenblick. Von da wollten wir am Pfingstsonntag per Rufbus oder Taxi auf den Pragelpass, dem Ausgangspunkt unserer Rundwanderung. Doch der Pragelbus ist nie über den Testbetrieb hinausgekommen und musste am 11.10.2009 den Betrieb einstellen. Und der Muotathaler Garagist, der auch Taxifahrten anbietet, war telefonisch nicht zu erreichen. So blieb uns nichts anderes übrig, als Autostopp zu machen.


Der Blick aus unserem Hotelzimmer auf die Pragelpassstrasse, an der wir zunächst erfolglos Autostopp machten, erst nach einem halben Kilometer zu Fuss hat uns jemand mitgenommen.

1 Auch Suworow war auf dem Pragelpass
Wenn 1799 der Feldzug der russischen Truppen unter Alexander Wassiljewitsch Suworow gegen die Franzosen nicht so verlustreich gewesen wären, könnte der Russe mit der Via Suworow durchaus als Erfinder des Wanderlands Schweiz gelten: Von Milano aus mit 25'000 Mann gestartet, befreite Suworow den Gotthard von den Franzosen, führte seine Soldaten über den Kinzigpass und den Pragelpass ins Glarnerland, von wo er vergeblich versuchte, an den Walensee vorzustossen. Auf der Flucht vor den Franzosen überquerte er mit seinen Truppen den bereits verschneiten Panixerpass, zog weiter nach Chur und floh über St. Luzisteig nach Österreich. Seine Armee war um 10'000 Mann dezimiert und sein Feldzug blieb militärisch und politisch ohne Folgen.

Unsere Wanderroute über die Silberen:

Zum Vergrössern auf die Karte klicken! Quelle der Routenkarte: www.wanderige.ch. Auf dieser Seite in Schwiizerdütsch gibt es zahlreiche Wandervorschläge mit Karten, Routenbeschrieben und Fotos.

2 Der grösste Urwald der Alpen
Der Bödmerenwald sei mit 600 Hektaren der grösste Urwald der Alpen, schreibt der Tages-Anzeiger. Ob das tatsächlich stimmt, weiss ich nicht, aber das urwüchsige Fichtenmeer mit seinen bis zu 450-jährigen Bäumen zu unseren Füssen ist schon eindrücklich:


Der Blick über den Bödmerenwald und das Muotatal

3 Verloren im Nebel
Auf den einschlägigen Internetseiten wird einem dringend davon abgeraten, bei Nebel über die Silberen zu gehen. Auch Leute mit sehr guten Ortskenntnissen hätten sich schon gottlos verlaufen. Wenn es auch noch nass ist, seien die Kalkplatten zudem auch noch glitschig und rutschig. Und was machen wir? Wir gehen bei nebligem Wetter über die Silberen. Zum Glück ist der Weg ausgezeichnet markiert — es wundert einem, dass die rot-weiss-roten Wegmarkierungen nicht noch zu einer durchgehenden Linie verbunden wurden...

4 Silberenalp und Dräckloch
Dass gut und bös nahe bei einander sind, zeigen die Ortsnamen hier in der Gegend. Gar nicht sicher ist hingegen, dass die Silberenalp ertragreicher ist als die Alp im Dräckloch.


Von der Twärenen Richtung Silberenalp und Dräckloch

5 Der Glärnisch zeigt sich doch noch
Etwa eine halbe Stunde unter dem obersten Punkt rissen die Wolken auf und für einen kurzen Moment war der Glärnisch zu sehen:


Der sagenumwobene Glärnisch — wolkenverhangen

6 Das obligate Panorama entfällt
Dieses von Frau Frogg aufgenommene Bild zeigt, warum in diesem Wanderbericht das obligate Panorama fehlt — schade, denn von hier könnte man bei sichtigem Wetter auch den Pilatus sehen. Eine ganz andere Sichtweise auf unsere Wanderung vermittelt übrigens Frau Frogg's Bericht über unseren Höllentrip ins Muototal — unbedingt ebenfalls lesen, geht es doch in ihrem Eintrag mehr ums interessante Drum und Dran!

7 Was verbindet die Silberen mit Guilin und den Plitwitzer Seen?
Es sind alles Karstlandschaften. Karst ist — verkürzt gesagt — vom Wasser zerfressener Kalk. Dass Kalk wasserlöslich ist, hat mitunter die strangesten Landschaften dieser Welt hervorgebracht: unglaublich vielfältige Landschaften, die mich immer wieder zu faszinieren vermögen:

Bizarre Karren und krasse Schratten auf der Silberen

8 La vie en gris
Dass ich dieses Farbbild in ein Graustufenbild umgewandelt habe, hat das Bild kaum verändert — grau war's schon davor:


Der Blick Richtung Norden, Richtung Klöntaler- und Wägitalersee

9 Das Ende der Wanderung in Sichtweite
Nach einer Krete hinter der Alp Butzen war das Ende unserer Rundwanderung in Sichtweite, doch vom Pragelpass trennte uns noch ein steiler Abstieg von etwa 200 Höhenmetern.


Der Pragelpass und das Muotatal

Nach 5.5 bis 6 Stunden reiner Wanderzeit hatten wir genug. Zum Glück war der Heimweg easy: Schon auf den letzten Metern des Abstiegs hat Frau Frogg zwei Frauen angesprochen, die auf der gleichen Rundwanderung unterwegs waren. Netterweise nahmen sie uns in ihrem Auto mit zur öV-Endstation Höllloch, wo wir den abfahrenden Bus gerade noch aufhalten konnten.

Dienstag, 7. Juni 2011

Die grüne Wüste

Schon mal was von der "grünen Wüste" gehört? Nein? Ich auch nicht. Dieses Stichwort würde ich eher mit Bewässerungsprojekten in der Sahara in Verbindung bringen, aber sicher nicht mit Bienen auf dem Land.

Heute hörte ich auf Schweizer Radio DRS einen leicht irritierenden Beitrag von Andrea Jaggi über Bienen in der Stadt und Imker und Imkerinnen, die in der Stadt Biohonig produzieren. Stutzig machte mich die Bemerkung des Stadtberner Imkers Peter Linder, dass in der Stadt die Bedingungen für die Honigbienen oft besser seien als auf dem Land, wo es den Bienen nach dem Ende der Rapsblüte und der Löwenzahnblüte an Nahrung fehle. Zum Teil müssten sie sogar zusätzlich gefüttert werden — ImkerInnen würden deswegen von der "grünen Wüste" reden. Ist die Biodiversität in der Stadt also grösser als auf dem Land? Auch die Bio-Qualität sei trotz der grösseren Schadstoffbelastung in der Stadt problemlos zu erreichen. Und last but not least läge das Imkern in der Stadt im Trend — viele StädterInnen würden sich für dieses anspruchsvolle Hobby interessieren und entsprechende Kurse absolvieren.

Interessant, aber doch irgendwie irritierend: Urbane Zonen werden immer "ländlicher", während rurale Gebiete zur "grünen Wüste" verkommen.

Montag, 6. Juni 2011

Tüppig

Vorgestern war es sehr tüppig, dann brachte ein Gewitter die ersehnte Abkühlung — schneller wäre die Gartenbeiz vom Kreuz Solothurn nicht zu räumen gewesen. Auch gestern war es tüppig...

Nicht, dass ich tüppiges Wetter besonders gerne habe, aber ich liebe dieses schweizerdeutsche Wort für schwül und drückend. Und mit Aussicht auf ein reinigendes Gewitter ist auch tüppiges Wetter erträglicher...



Wenn bei uns ein Gewitter aufzieht, dann kommt es vom Luzerner Hinterland oder vom Pilatus her, doch dieser Cumulonimbus war nicht mehr als eine Drohgebärde. Der Wind vertrieb die dräuenden Gewitterwolken wieder und die Abkühlung kam erst heute morgen.