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Dienstag, 2. August 2011

Migros Türk — eine Erfolgsgeschichte

Als SchweizerInnen sind wir immer ein bisschen irritiert, wenn wir in der Türkei auf einen Migrosladen stossen. Nach dem Konsum-Abenteuer in Österreich, das 1995 in der grössten Firmenpleite seit dem Zweiten Weltkrieg endete, dachten wir doch, die Migros sei eine derart urschweizerische Institution, dass die Idee nicht ins Ausland übertragbar sei und dass der "orange Riese" es nie schaffen würde, ins Ausland zu expandieren. Doch das stimmt nicht ganz!


Von aussen könnte die Migros von Kaş als gutschweizerischer Quartierladen durchgehen — abgesehen vom i-Punkt unterscheidet sich das Logo kaum vom helvetischen Vorbild:


Es ist sogar so, dass das Logo der türkischen Migros dem ursprünglichen Logo der schweizerischen Migros näher kommt als die erneuerte Version.

Wenn man den Laden betritt, bemerkt man weitere Parallelen: Auch bei Migros Türk gibt es zum Beispiel eine Gourmet-Produktelinie mit dem Namen Selection (ohne Akzent auf dem e), die täuschend ähnlich aussieht:



Übernommen hat die türkische Migros auch die Einteilung der Läden in
M-, MM- und MMM-Läden — je mehr M, desto grösser der Laden und das Sortiment:


Die MMM-Migros in Bodrum. Gemäss Homepage betreibt Migros Türk
235 M-, 182 MM- und 56 MMM-Läden sowie 14 5M-Einkaufszentren.

Sogar die Firmengeschichte ähnelt sich: Beide Migros-Unternehmen haben mit mobilen Verkaufsläden begonnen:


In Zürich fuhren am 25. August 1925 die ersten fünf Verkaufswagen der Migros aus. Beladen waren sie mit gerade mal sechs Artikeln des täglichen Bedarfs. Auch in der Türkei war, bevor die Migros Türk 1957 im Istanbuler Stadtteil Beyoğlu den ersten Laden eröffnete, eine Flotte von 20 Verkaufswagen unterwegs zur Kundschaft.

Die Ähnlichkeiten sind zum Teil so frappant, dass Migros Türk sogar für plagiat.posterous.com zum Thema wurde. Wie ist es aber dazu gekommen? Die türkische Migros wurde 1954 als Joint-Venture zwischen dem Migros-Genossenschafts-Bund in der Schweiz und der Stadt Istanbul gegründet. Ziel war es, unter der Kontrolle der Stadtgemeinde Lebensmittel und Konsumgüter vom Erzeuger direkt an die BürgerInnen von Istanbul zu verkaufen und dies in guter Qualität und zu günstigen Preisen. Diese Geschäftsidee, die den Detailhandel in der Schweiz und in der Türkei revolutionierte, kam jedoch erst so richtig zum Tragen, als 1975 die Koç-Gruppe die Aktienmehrheit übernahm.

Aufschlussreich ist dieser 10vor10-Beitrag des Schweizer Fernsehens zu 50 Jahre Migros Türk:

Link zum Beitrag von 10vor10 vom 17.9.2004

Abgesehen davon, dass Migros Türk auch Alkohol verkauft, fühlte sich Claude Hauser, Verwaltungsratspräsident von Migros Schweiz, wie in einem schweizerischen Migros-Laden. Im Fernsehbeitrag stellt Rahmi Koç, Besitzer von Migros Türk, fest, dass sich die türkische Migros in zwei wesentlichen Punkten von ihrem schweizerischen Vorbild unterscheidet: Die Migros in der Türkei ist eine Aktiengesellschaft, während ihr Schweizer Pendant genossenschaftlich organisiert ist. Und die türkische Migros hat im Gegensatz zu ihrem Vorbild erfolgreich ins Ausland expandiert: Gemäss Wikipedia gehörten 2009 über 70 Ramstore-Läden in Russland (2010 für 542.5 Millionen USD an Enka verkauft) und 20 weitere Läden in Kasachstan, Aserbaidschan, Mazedonien und Kirgisistan der Migros Türk.

2008 verkaufte die Koç Holding die Migros Türk an die Moonlight Capital SA. und in der Folge fusionierte Migros Türk T.A.Ş. mit ihrem Hauptaktionär, Moonlight Perakendecilik ve Ticaret A.Ş., die heute neben diesem 5M-Migros-Einkaufszentrum in Antalya fast 2000 weitere Läden in der Türkei und 27 Ramstore-Filialen im Ausland betreibt.

Und die schweizerische Migros? Sie expandiert langsam und ganz vorsichtig ins benachbarte Ausland: Im Grenzgebiet von Genf betreibt Migros-France SAS drei Supermärkte und ein grosses Freizeitzentrum. Migros Deutschland mit fünf Filialen in Baden-Württemberg und Rheinlandpfalz sucht für ihre Expansionspläne vorerst in Städten mit mehr als 50'000 Einwohnern in Baden-Württemberg und dem südlichen Bayern Mietflächen von 2'000 bis 2'200 Quadratmeter. Seit 2009 ist Migros ausserdem zu 49% an der Gries Deco Company GmbH beteiligt, die unter dem Namen "Depot" v.a. in Deutschland eine grosse Warenhauskette für Geschenkartikel, Dekorationsaccessoires und Kleinmöbel betreibt.

Freitag, 29. Juli 2011

Verbaute Schweiz — versaute Schweiz

Heute endet in meinem Leib-und-Magen-Blatt, dem Zürcher Tages-Anzeiger, eine Artikelserie über die Zersiedelung der Schweiz und die Machtlosigkeit der Raumplanung. Das Problem ist schon länger erkannt und trotzdem ändert sich rein gar nichts. Deshalb möchte ich diese Serie mit dem Titel "Verbaute Schweiz", die auch online nachzulesen ist, allen wärmstens ans Herz legen.

Quelle: Interaktive Karte auf map.geo.admin.ch

Sekündlich wird in der Schweiz ein Quadratmeter Natur zugebaut — und das mehr oder weniger planlos. Deshalb fordert im Auftaktartikel Stararchitekt Jacques Herzog eine radikal neue Vision: "Wenn Stadt, dann richtig Stadt, wenn Land, richtig Land und beide Lebensformen aufeinander Bezug nehmend." Höchste Zeit, etwas gegen den drohenden Siedlungsbrei zwischen Bodensee und dem Lac Léman zu unternehmen.

In doppelseitigen Artikeln mit eindrücklichen Bildern von Raffael Waldner werden einzelne Aspekte der Zersiedelung unter die Lupe genommen:
  1. Die S-Bahn, die die Attraktivität peripherer Gebiete steigert, den Siedlungsdruck in "ländlichen" Dörfern erhöht und die Suburbanisierung vorantreibt.
  2. Bauherren, die Bauern verdrängen, indem sie dafür sorgen, dass Kulturland eingezont und überbaut wird. Solange so viel Geld in den Boden investiert wird, lässt sich die Zersiedelung nicht stoppen, stellt ein Experte für Bodenfragen fest.
  3. Der Traum vom eigenen Einfamilienhaus im Grünen führt dazu, dass die Schweiz zum Gartensitzplatz verkommt und immer mehr Gebiete "verhüslet" werden. Der Traum zerstört sich selbst.
  4. Kalte Betten in den Tourismusgebieten: In einzelnen Gemeinden beträgt der Zweitwohnungsanteil mehr als 80%. In 13 Berner Gemeinden ist das Problem so gross, dass der Bund mit einem Baustopp für Zweitwohnungen droht.
  5. Planloses Wuchern der Agglomeration führt zum Verkehrskollaps und zur ständigen Überschreitung von Umweltgrenzwerten. Im Westen von Lausanne war das Problem so akut, dass die Waadtländer Regierung im Jahr 2000 ein Baumoratorium verfügte und acht Vorstadtgemeinden zu einer grenzüberschreitenden Planung zwang. Jetzt lebt die Wüste auf.
  6. "Eine dichte Stadt ist umweltfreundlich", sagt ETH-Professor Ulrich Weidmann und fordert für die Stadt Zürich Hochhausquartiere, neue Quartierverbindungsstrassen und ein unterirdisches Tramsystem im Stadtkern.
  7. Alpine Brachen sind die Kehrseite der Zersiedelung. Statt mit Subventionen die Abwanderung zu bekämpfen, solle man entleerte Alpentäler sich selbst überlassen, meinen Ökonomen. Doch die Bewohner des Val Calanca kämpfen gegen die Verwilderung.
Das Problem der Zersiedelung hat viele Facetten. Klar jedoch ist, dass das föderalistische System der Schweiz in der Raumplanung versagt. "Der Bund muss Kantone und Gemeinden an die Zügel nehmen und griffigere Richtpläne durchsetzen", lautet das Fazit, das Beat Bühlmann in seinem Abschlussartikel zieht. Um die Zersiedelung zu stoppen, müsse die Politik durchgreifen und überflüssige Bauzonen redimensionieren. Die öffentliche Hand solle private Planungsgewinne abschöpfen, um Entschädigungen für Auszonungen zu finanzieren. Schliesslich fordert er mehr Raumplanungskompetenzen für den Bund, so dass dieser die kantonalen Richtpläne kontrollieren und notfalls sanktionieren kann. Recht hat er.

Mittwoch, 27. Juli 2011

Virtuelles Badewetter

Da der Sommer hierzulande nur virtuell stattfindet, kann ich auch zu einem virtuellen Bad im Meer einladen:

Badeplattform in Kaş — zum Vergrössern aufs Bild klicken!

In meinem letzen Eintrag habe ich geschrieben, dass das Küstenstädtchen Kaş nett ist und alles hat für ein paar schöne Ferientage. Das stimmt nicht ganz: Kaş hat keinen langen Sandstrand und das Ufer besteht aus groben Felsbrocken, so dass es gar nicht so einfach ist, ins kühle Wasser zu steigen. Doch die findigen einheimischen Restaurantbesitzer wissen sich zu helfen: Mit Hilfe von Metallstützen und -streben, Holzplanken und grossen Liegekissen sind bequeme Badeplattformen entstanden, die einladen zum Rumliegen und Lesen. Das kühle Bier wird einem an den Platz serviert. Von diesem virtuellen Luxusstrand über den Felsen steigt man mit der Leiter ins kühle Nass. Und Abkühlung war trotz frischem Wind notwendig, war es doch auch unter dem schattenspendenden Segeltuch warm genug, um ins Schwitzen zu kommen...

Sonntag, 24. Juli 2011

Kaş ist nett

Von Üçağız nach Kaş, unserem nächsten Etappenort, war es — wie immer in der Türkei — weiter als erwartet. Und die Reise mit dem rasenden Bäcker war abenteuerlich und führte durch eine andere Türkei, aber das Küstenstädtchen Kaş ist nett und hat alles für ein paar schöne Ferientage.



In Üçağız gibt es keinen öV. Deshalb organisierte uns der schöne Neffe des Wirts eine Mitfahrgelegenheit: Der Brotlieferant nahm uns in seinem klapprigen Lastwägelchen ein grosses Stück mit — sein halsbrecherischer Fahrstil liess uns aber Blut schwitzen. Dann setzte er uns an einer Kreuzung in the middle of nowhere ab und bedeutete uns, wir sollten auf das nächste Dolmuş (Sammeltaxi) nach Kaş warten. An solchen Ecken ist immer jemand, der an zwei, drei schattigen Tischen Tee verkauft und einem so das Warten versüsst. Wir hatten uns auf eine längere Wartezeit eingestellt, doch kaum hatte der Teebub den Tee gebracht, kam aus dem Nichts unser Dolmuş, das wir mit vereinten Kräften gerade noch aufhalten konnten. Für einmal war der Minibus nicht fast voll, sondern leer. Aber auf der gut 10 Kilometer langen Fahrt nach Kaş blieben wir nicht lange die einzigen Fahrgäste. Am Strassenrand warteten immer wieder Leute, die auch mitfahren wollten, so dass das Dolmuş bis zum Otogar von Kaş gut gefüllt war.

Am Busbahnhof kamen wir mit einem Türken ins Gespräch, der uns zur guten und günstigen Pension seines Onkels lotste. Das Zimmer war schön und die Aussicht vom Balkon überwältigend:

Der Blick aufs Häusergewirr von Kaş — zum Vergrössern aufs Bild klicken!

Doch Frau Frogg hatte kein Auge fürs Panorama, sie hatte Hunger. Deshalb machten wir uns rasch wieder auf die Socken und stachen ins erstbeste Restaurant, das uns in die Quere kam: Es war ein Kebabrestaurant in einem Hinterhof, in dem viele Einheimische essen. Die Speisekarte war nur in türkisch und der Kellner sagte verschmitzt, er hoffe, dass wir genügend türkisch könnten. Ich bestellte Ali Nazik, das einzige Gericht, unter dem ich mir gar nichts vorstellen konnte und war gespannt, was da kommen würde.

AliNazik
Ali Nazik — Bild und Kochrezept: www.daskochrezept.de

Mein Ali Nazik war allerdings nicht mit Kalbsfilet zubereitet, wie in obigem Rezept, es waren Lammfleischstückchen auf einem Yoghurtbeet, dazu Reis und türkisches Fladenbrot. Das Wagnis hatte sich gelohnt: Es schmeckte mir ausgezeichnet.

Gute Restaurants gabs im Städtchen noch einige — wir konnten gar nicht alle ausprobieren. Und auch sonst hatte Kaş einiges zu bieten:


Eine lykische Grabstätte, ein antikes Theater mit Aussicht...


...eine schöne Hafenpromenade und malerische Gassen.

Kaş ist wirklich nett!

Samstag, 23. Juli 2011

Verhexte Tastatur

Auch in den Ferien kann ich es nicht gänzlich lassen: Hin und wieder muss ich ins Internetcafé, um meine Emails und die News zu checken, denn ich als Newsjunkie möchte wegen ferienbedingter Medienabstinenz doch nicht eine wichtige Nachricht oder ein weltbewegendes Ereignis verpassen.

Doch im ausländischen Internetcafé beginnen die Schwierigkeiten schon beim Surfen: Statt einem Z erscheint ein Y auf dem Bildschirm und umgekehrt, weil die Buchstaben auf der Tastatur vertauscht sind. In der Türkei fehlt plötylich das Tüpfchen auf dem ı, was natürlıch beım Beantworten von Emaıls noch fataler ıst als beım Surfen. Es ıst wıe verhext!

Freitag, 22. Juli 2011

Ferienzeit ist Lesezeit

Während der Kultursaison habe ich zu wenig Musse, um Bücher zu lesen. Um so mehr lese ich in den Ferien. In die Türkei habe ich fünf Bücher mitgeschleppt — eigentlich genug Lesestoff für drei Wochen. Aber wegen der hohen Temperaturen sind wir weniger gewandert als geplant, deshalb drohte mir der Lesestoff auszugehen.

Bild: fotofrogg


Bis Üçağız hatte ich schon gelesen:

"Scheidung auf türkisch" von Esmahan Aykol
Ein leichter Krimi, der in Istanbul und Umgebung spielt und so zu unserem Reiseland passt. Die Krimibuchhändlerin Kati Hirschel ermittelt in Konkurrenz zur Kriminalpolizei in einem ungewöhnlichen Todesfall — Sani hat in die Industriellenfamilie Ankaralıgil eingeheiratet, doch ihre Ehe steht unter einem schlechten Stern und nach nur wenigen Jahren wird die junge und schöne Umweltschützerin tot in ihrer Wohnung aufgefunden. Ungewohnt für einen Krimi ist der Umstand, dass fast bis zum Schluss unklar bleibt, ob es sich um Mord handelt. Während immer wieder neue Verdächtige ins Blickfeld von Kati Hirschel geraten und sich der Reihe nach als unschuldig erweisen, plätschert die Handlung leicht und locker dahin, ist aber sicher kein Thriller.


"Geschichte der Schweiz" von Thomas Maissen
Liest sich zwar manchmal wie ein Krimi, ist aber eine kompakte Darstellung der Geschichte der Schweiz. Ohne sich mit den Details aufzuhalten, schildert der Autor die Entstehung der Eidgenossenschaft, analysiert ihre ausserordentliche Kontinuität und warum sie trotz zahlreichen Bruchlinien nicht schon längst wieder auseinander gebrochen ist. Überzeugend dargestellt erscheinen viele historische Facts in einem neuen Licht — beim Lesen hatte ich einige Aha-Erlebnisse. Anders als unser Geschichtsunterricht im Gymnasium endet die Geschichte der Schweiz nicht mit dem 2. Weltkrieg, sondern in der Gegenwart. Maissen versucht, die Schweiz der Gegenwart mit der Geschichte der Schweiz zu erklären, und ich finde, das gelingt ihm ausgezeichnet und dazu in flüssigem Stil: Dieses Geschichtsbuch ist nicht nur für historisch Interessierte, sondern für alle, die das heutige politische System der Schweiz und seine Entwicklung verstehen wollen.


"Lies und werde reich — Geschichten vom Geld" von Al Imfeld
Ein Band mit lauter Kurzgeschichten und Kolumnen rund ums Thema Geld geschrieben von Al Imfeld, der im Luzerner Hinterland aufgewachsen ist, Theologie, Philosophie, Soziologie, Journalismus und Tropen-Landwirtschaft studiert und als Priester, Journalist und Entwicklungsexperte gearbeitet hat. Heute ist er v.a. Geschichtenerzähler und hat deshalb auch den Übernamen "Griot vom Napf" bekommen. Seine Geld-Geschichten stammen aus ganz verschiedenen Kontexten, sind deshalb — obwohl es immer ums Geld geht — ganz unterschiedlich: mal lustig, mal traurig, aber immer süffig geschrieben. Zusammen ergeben die 26 Geschichten eine "kleine Ethnografie des Geldes", die ich in einem Nachmittag weggelesen habe.


Da mein LeseMalstoff rapide zur Neige ging, lieh ich mir auf Anraten von Frau Frogg aus der Tauschbücherei unserer Pension das einzige brauchbare Buch in deutsch:

"Der Malteser Falk" von Dashiell Hammett
Dieser 1930 erschienene Kriminalroman (Inhalt und Kritik) ist wirklich "hard boiled" und trotz seinem Alter auch in der deutschen Übersetzung immer noch spannend. Der stilbildende Roman mit dem unvergleichlichen Privatdetektiv Sam Spade wurde gleich dreimal verfilmt — "Die Spur des Falkens" (1941) mit Humphrey Bogart in der Hauptrolle wurde gemäss Wikipedia zu einem Klassiker des "film noir". Auch ohne Bogart vor Augen konnte ich das Buch kaum weglegen.


Da wir uns entschieden, eine Woche früher nach Hause zu fliegen (vgl. Verfrühtes Ferienende), musste ich mit dem Buch, das ich für die zweite Ferienhälfte aufgespart hatte, plötzlich pressieren:

"Verblendung" von Stieg Larsson
Erst nach dem Tod des Autors erschien 2005 "Verblendung" als erster Band der so genannten "Millenium-Trilogie". Während eines Familientreffens verschwindet Harriet Vanger. Ihr Schicksal bleibt jahrzehntelang ungeklärt, bis der Journalist Mikael Blomquist und die Ermittlerin Lisbeth Salander recherchieren. Was sie zu Tage fördern, ist grauenhafter als das schlimmste Grauen. Dieses düstere, aber unglaublich spannende Buch ist ein "Pageturner" und schlicht "unputdownable". Die Frankfurter Neue Presse schrieb: "So spannend, dass Sie nicht mehr von aus dem Liegestuhl hochkommen." Wie wahr!

Im Zug vom Flughafen nach Luzern las ich die letzte von 688 Seiten. Und im Gepäck hatte ich noch ein ungelesenes Buch, das für die dritte Ferienwoche wohl kaum gereicht hätte.

Donnerstag, 21. Juli 2011

Die versunkene Stadt

In diesem Eintrag geht es um eine Schatzkarte, eine Bucht mit dem Namen "Aquarium Bay", eine versunkene Stadt, ein Glasbodenboot, einen Steinsarkophag im Wasser, eine Burg mit traumhafter Aussicht, eine biblische Landschaft und sphärische Klänge.


Unsere schon etwas fleckig gewordene "Schatzkarte" zeigt, warum Üçağız auf deutsch "3 Münder" heisst: Die Bucht von Üçağız hat drei Mündungen ins offene Meer. Rot eingezeichnet ist unsere Fahrt / Wanderung zu den Schätzen dieser reizvollen Gegend: 1 Aquarium Bay, 2 Tersane Bay, 3 Versunkene Stadt von Kekova, 4 Sarkophag von Simena, 5 Festung von Simena, 6 Haus der Sphärenklänge


Vom Boot, das wir für diese Schatzsuche gemietet haben, blickt Frau Frogg zurück nach Üçağız.


1 Erster Badehalt in der Aquarium Bay, wo das Wasser manchmal noch klarer ist. Bei unserem Besuch war es vor allem erfrischend.


2 Zweiter Badehalt in der Tersane Bay: Nach einem Bad in der wunderschönen Bucht geniesst der Kulturflaneur die Sonne...


...Frau Frogg kauft ein — von Boot zu Boot. Hinter Frau Frogg am Strand: die Ruinen von Tersane (Insel Kekova)


3 Während wir langsam diesen Ruinen am Ufer der Insel Kekova entlang fuhren, glitt unter uns eine versunkene Stadt vorbei: Durch den Glasboden des Boots waren Mauern, Amphoren und andere Überreste einer menschlichen Siedlung deutlich zu erkennen — unter Wasser sind Ruinen noch geheimnisvoller...


4 Unser türkischer Kapitän brachte uns nach Simena, wo dieser lykische Sarkophag neckisch im Wasser steht. Wir stiegen aus und gingen zu Fuss nach Üçağız zurück, was sich nicht nur wegen dieser wunderschönen und doch etwas eigenartigen Blüte lohnte:


Fragt mich einfach nicht, was es für eine Pflanze ist.


5 Auf der Festung von Simena eröffnet sich ein grossartiger Rundblick auf eine paradiesische Welt mit Inseln und Buchten:

Das Panorama zeigt von links nach rechts: die Insel Kekova, die Bucht von Simena, zwei Ausfahrten ins offene Meer, die Bucht von Üçağız, dahinter der lykische Weg und eine Ebene mit Gemüsebau — zum Vergrössern aufs Bild klicken!


6 Hinter der Festung mit dem tollen Ausblick führt der Weg durch eine biblische Gegend mit Olivenbäumen und zahlreichen Steinsärgen. Verstärkt wurde unser Eindruck einer archaischen Landschaft, durch sphärische Klänge, die der Wind von der Ebene herauftrug — die geheimnisvolle Quelle der Sphärenmusik war nicht auszumachen.

Dienstag, 19. Juli 2011

Krieg der Köche

In Üçağız, unserem nächsten Übernachtungsort, herrscht Krieg — Krieg der Köche. An der Hafenpromenade treibt der gnadenlose Wettbewerb zwischen den Restaurants seltsame Blüten: Hassan wirbt selbstsicher mit dem Slogan "Bester Koch vom Mittelmeer", während sein Nachbar Ibrahim ihn mit "Beste Küche weit und breit" noch zu übertreffen sucht.


Üçağız ist Ausgangspunkt für kürzere und längere Bootsausflüge, aber auch ein beliebtes Etappenziel für Segeltörns — nirgends habe ich mehr türkische Flaggen im Wind flattern gesehen wie bei diesen Bootsstegen.


Ob Hassan tätsächlich der beste Koch vom Mittelmeer ist, können wir nicht beurteilen, aber seine Mezeler (= Vorspeisen) sind ausgezeichnet. Noch überzeugender fanden wir jedoch das Vorspeisenbuffet unserer Pension Onur:


Mezeler à discrétion — eine Augenweide


Ich konnte mich gerade noch zurückhalten, mich ein zweites Mal zu bedienen, wollte ich doch noch ein bisschen Platz lassen für den Hauptgang.

Die Mezeler sind ein Hauptbestandteil der türkischen Küche. Fast immer sind sie so lecker, dass man den Hauptgang getrost weglassen kann, was auch viele TürkInnen machen — dazu trinken sie dann viel Rakı (Anisschnaps, der wie Raki, Ouzo und Pastis mit Wasser verdünnt wird). In der klassischen türkischen Küche sind 20 bis 30 Vorspeisen nicht selten. Sultan Mahmud I. (1696 - 1754) soll es sogar auf 72 Mezeler gebracht haben. Die gefüllten Auberginen, die İmam bayıldı (türkisch für "Der Imam fiel in Ohnmacht") heissen, sind die Vorspeise mit der schönsten Legende: Als ein Imam (Vorbeter) dieses Gericht zum ersten Mal probierte, habe er es so köstlichen gefunden, dass er vor Entzücken in Ohnmacht gefallen sei.

Wir sind nicht in Ohnmacht gefallen und im Krieg der Köche auch nicht zwischen die Fronten geraten — abgesehen vom verbalen Kampf um Gäste könnte Üçağız nicht friedlicher sein: