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Sonntag, 26. August 2012

Hügelwanderung in Etappen

In den Hügeln ob Locarno gibt es einen Wanderweg, der nennt sich "Sentiero Collina Alta" und führt mehr oder weniger an unserer Ferienwohnung vorbei — für uns ein Schlechtwetterprogramm, das wir mehrmals, dafür in Etappen absolviert haben. Und: Auf dem "oberen Hügelweg" nach Locarno gibt es einiges zu sehen!

Zum Vergrössern auf die Karte klicken! Einmal sind wir von Contra (A) nach Brione sopra Minusio (B), einmal nach Locarno-Monti (C) gewandert. Die Etappe von C nach D besteht zur Hauptsache aus dem Kreuzweg, der von Madonna del Sasso nach Locarno runterführt (vgl. Magengesteuerter Besuch in Locarno). Auch den Abstieg von A nach Tenero (E) haben wir mehrmals gemacht. Quelle der Karte mit Wanderroute: map.wanderland.ch. Routenbeschrieb: Tageswanderung Nr. 456 auf www.wandersite.ch.

1. Kontrastfarbener Käfer



Dieser gelbe Schwefelkäfer auf dieser blauen Kugeldistel (eine von etwa 120 Arten) war nicht zu übersehen, denn Konträrfarben sind das Gegenteil von Tarnung... Schöne Blumen wachsen überall, manchmal sogar aus Trockenmauern:



2. Trotte — Kelter — Torchio



Drei Wörter für ein und das selbe: eine Weinpresse. Ob sie noch funktioniert und ob sie noch in Gebrauch ist, weiss ich nicht, aber an der Strasse, die ins Val Resa führt, markiert sie den Beginn einer Erlebnislandschaft, die fürs Tessin typisch ist: ein schmales Strässchen, das durch eine terrassierte Landschaft mit Trockenmauern, Rustici*) und Grotti**) führt. Vom Torchio vinario aufwärts hat es noch mindestens drei Grotti, die vor allem übers Wochenende betrieben werden.

3. Pont del Sipp — Sepps Brücke



Das Prinzip Lieber oben drüber als unten durch galt auch im Tessin: Der schnellste Weg vom Val Verzasca nach Locarno führte nicht durchs Tal, sondern über die Hügel. Auch heute noch ist der obere Hügelweg Teil des Sentiero Verzasca, eine mehrtägigen Wanderroute von Sonogno nach Locarno. Der Pont del Sipp überbrückt das Bachtobel der Navegna mit einem romanischen Rundbogen an einer idyllischen Stelle, wo der Bach kaskadenartig über mehrere Wasserfälle talwärts fliesst. In früheren Zeiten verbrachte ein Bauer namens Sipp den Sommer jeweils in der Nähe der um 1750 erbauten Brücke, weshalb sie bei den Einheimischen Pont del Sipp heisst.

4. Cappella Rotta — Beten gegen die Pest


Mitten im Wald: ein Rustico neben Sepps Brücke und die Cappella Rotta

Die Wegkapelle am Weg ins Val Verzasca ist beschädigt — und wird deshalb nur noch als kaputte Kapelle bezeichnet. Sie war früher San Rocco geweiht, der zwar nie heilig gesprochen wurde, aber dennoch als "Pestheiliger" zu den 14 Nothelfern zählt. Die Cappella Rotta war während den Pestzügen ein Zufluchtsort für Pestflüchtlinge.

5. Blick aufs Maggiadelta und Locarno



Wo der Wald sich lichtet, wie hier beim Abstieg auf Brione sopra Minusio, eröffnet sich der Blick auf den Lago Maggiore und das eindrückliche Delta der Maggia. In der vorderen Ecke des Deltas ist trotz trübem Wetter Locarno, in der hinteren Ecke Ascona zu erkennen.

6. Die Post von Brione — früher und heute



Gemäss einer Tafel des itinerario storico culturale war in diesem Gebäude einmal die Postablage von Brione — heute ist hier nicht einmal mehr die Bar Posta. Auch wenn die vielen Leute auf dem historischen Bild für den Fotografen posieren — heute ist in Brione deutlich weniger los: Als wir am Mittag eine offene Beiz suchten, hatten von drei Beizen drei zu, auch die Osteria da Johnny. Wohl oder übel nahmen wir den Bus zurück nach Contra und kochten selber...

7. Aufgemotzte Rustici



Am oberen Hügelweg trifft man immer wieder auf aufgemotzte Rustici, die als Ferienhäuser genutzt werden. Dagegen ist nichts einzuwenden, aber manchmal wird man den Verdacht nicht los, dass an Stelle von rustikalen Steinhäusern Neubauten hingestellt wurden. All zu lange betrieb der Kanton Tessin bezüglich Rustici eine Laisser-faire-Politik. Jetzt aber sei der Umgang mit den Rustici streng reglementiert, war im Umfeld der Abstimmung über die Zweitwohnungsinitiative aus dem Tessin zu vernehmen, deshalb sei es nicht notwendig, dass Rustici als Zweitwohnung gezählt würden. Aber, bitte sehr, als was denn sonst? Als Erstwohnungen, als Ziegenställe oder als ehemalige Ruinen oder was?

8. Suchbild



Wo ist die Seilbahn, die von Orselina auf die Cardada fährt?

9. Bauboom an Locarnos Goldhügel



Während die einen ihr Ferienhaus im Juni leer stehen lassen und ihre Nachbarn ihr Ferienhaus gar veräussern wollen, ...



... wird an in Locarno-Monti und Orselina gebaut, was das Zeug hält, als ob die letzten Baugrundstücke am Goldhügel nur noch diesen Sommer überbaut werden könnten. Zu vermuten ist, dass dieser Bauboom auch eine Folge der Annahme der Zweitwohnungsinitiative ist. Zur Diskussion über die Folgen und die Umsetzung dieser in den Tourismusgebieten sehr ungeliebten Initiative habe ich auf DRS 4 aktuell ein ausgezeichnetes radiophones Dossier gefunden.

C. Auch am Etappenziel...

waren die ersten drei Restaurants zu und erst das vierte hatte offen:







Dafür war die Aussicht auf den Lago Maggiore, Locarno und Madonna del Sasso grandios und die Lachsforelle schmeckte ausgezeichnet.

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*) Ein Rustico ist ein rustikales Tessiner Steinhaus. Rustici wurden früher meist ausserhalb von Dörfern auf Waldlichtungen, Maiensässen und Alpweiden als temporäre Wohnhäuser, Ställe und Heuschober gebaut und genutzt. Heute sind die oft nur zu Fuss oder mit dem Helikopter erreichbaren Rustici entweder zu Ferienhäuschen umgenutzt worden — meist am Rande der Legalität — oder sie zerfallen allmählich zu Ruinen.

**) Ein Grotto ist die Tessiner Version einer Gartenbeiz oder eines Schanigartens. Grotti sind oft nur im Sommer betriebene rustikale Beizen mit grosser Outdoor-Bewirtung, typischerweise im Wald gelegen und mit Granittischen ausgestattet.

Dienstag, 21. August 2012

Freie Republik Gersau

"Ganz Gallien ist von den Römern besetzt. Ganz Gallien? Ein kleines Dorf widerspenstiger Gallier leistet immer noch erbitterten Widerstand...", so beginnt jeder Asterix-und-Obelix-Band. Und so könnte auch die Geschichte der Freien Republik Gersau beginnen — ein Besuch im ehemals kleinsten Freistaat der Welt.

Zu Besuch bei einer Freundin, die seit kurzem in der freien Republik Gersau lebt, fuhren wir vorgestern ausgerechnet mit Motorschiff Europa. An einem so traumhaft schönen Tag waren wir selbstverständlich nicht die einzigen an Bord von MS Europa...

1. Historisches Unikum

Gemäss Wikipedia war Gersau seit 1332 als selbständige Einheit Teil der Waldstätten, der Urschweiz also. 1390 kaufte es sich von Habsburg los und erlangte 1433 die Reichsunmittelbarkeit durch Kaiser Sigismund. Seither war die knapp 24 km² grosse reichsfreie Republik ein Zugewandter Ort der Eidgenossenschaft — und als kleinster Freistaat der Welt ein historisches Unikum. 1798 wurde Gersau der Helvetischen Republik zugeteilt. Nach dem Zusammenbruch der Helvetik war Gersau noch für einige Jahre selbständig. 1817 war jedoch fertig lustig: Die Tagsatzung, die Versammlung der Abgeordneten aus den Kantonen, beschloss, Gersau gegen seinen Willen dem Kanton Schwyz anzufügen. Noch heute bildet die Gemeinde Gersau einen eigenen Bezirk.


Die Karte von sidonius auf commons.wikimedia.org zeigt die Struktur der Eidgenossenschaft nach der Eroberung des Aargaus (1416): grün und grünlich die Achtörtige Eidgenossenschaft, braun und bräunlich die Zugewandten Orte und ihre Untertanengebiete. Der kleine braune Fleck am Vierwaldstättersee ist die "altfrye Republik" Gersau, die unter der Schirmherrschaft von Luzern, Uri, Schwyz und Unterwalden stand. Zum Vergrössern auf die Karte klicken!

2. Seidenspinnerei und Tourismus

Gersau ist bekannt für seine Seidenspinnerei, deren Wurzeln bis 1730 zurückreichen. Josef Augustin Reding aus Schwyz, der Begründer der Gersauer Seidenindustrie, erhielt in der freien Republik Gersau die notwendigen Bewilligungen, die ihm die Schwyzer Behörden verweigert hatten. 1846/47 begann mit dem Bau einer ersten Fabrik die Industrialisierung der Gersauer Seidenspinnerei. Zwei weitere folgten 1859 - 61. Damals wie heute liefert der Dorfbach die notwendige Energie.

Umgenutzte Seidenspinnereien und darbende Hotels

Mit der aufkommenden Dampfschifffahrt (ab 1860) wurde Gersau zu einer Touristendestination — das milde Klima am Südabhang der Rigi sorgt dafür, dass in Gersau Edelkastanien und Palmen wachsen. Klimatisch fühlt man sich ans Tessin erinnert, allerdings ist es wohl eher Zufall, dass das Gersauer Wappen genau gleich aussieht wie dasjenige des Kantons Tessin. Dass die touristische Infrastruktur an der "Riviera" des Vierwaldstättersees trotz mediterranem Klima mit Schwierigkeiten zu kämpfen hat, ist angesichts geschlossener Hotels und Restaurants nicht zu übersehen. Gemäss einem Artikel in der Zeitschrift Heimatschutz/Patrimoine 1-2011 mit dem Titel Gersau und Brunnen SZ — Wohnen und Tourismus in Konkurrenz ist die Zahl der Übernachtungen in Gersau zwischen 1995 und 2007 um satte 45'000 pro Jahr zurückgegangen. Wenn pro Tag 125 Gäste fehlen, ist das mit einer Strategie, die notgedrungen auf Tagestourismus setzt, nicht zu kompensieren.

3. Dubiose Wolke am Stanserhorn

Es war so heiss, dass wir uns zu einem Bad im Vierwaldstättersee entschlossen, nicht in der Badi, sondern am Gersauer Flanierquai:



Die Einheimischen, die von der Quaimauer direkt ins kühle Nass sprangen, meinten zur Wassertemperatur: "Das isch ja wie-n-es heisses Kafi!" — zuvor hatten sie noch in einem Bergsee gebadet, der wahrscheinlich richtig kalt war. Wir hingegen empfanden die geschätzten 22 Grad als angenehme Abkühlung.

Dann machte uns unsere Gastgeberin auf eine dubiose Wolke am Stanserhorn aufmerksam:



Es könne keine Wolke sein, meinte sie, denn sie bewege sich nicht vom Fleck. Und tatsächlich: 18fach gezoomt und elektronisch vergrössert, entpuppte sich das Wölkchen am Stanserhorn als Seilbahnmasten...

4. Standesgemässe Rückfahrt

Aus dem widerspenstigen gallischen Dorf an der Rigi fuhren wir standesgemäss zurück nach Luzern — mit dem schnellsten Raddampfer der Vierwaldstätterseedampferflotte, der "Gallia":


Der Blick zurück auf die freie Republik Gersau


Dampfschiff Gallia am Europaplatz in Luzern

Freitag, 17. August 2012

9 x Magadino-Ebene

Unsere Ferien im Tessin fanden zu einem grossen Teil auch in Balkonien statt, was bei der Traumaussicht auf die Magadino-Ebene und den Lago Maggiore kaum verwundert. Waren wir nicht am Wandern oder auf einem Ausflug, verbrachten wir den Tag auf dem Balkon oder am Pool. Dabei gab es immer wieder was zu sehen: Flugzeuge und Helikopter, die auf dem Flugplatz landeten, Züge und Autos, die ameisenhaft herumwuselten, und vor allem das Wetter, das das gleiche Panorama immer wieder in neuem Licht erscheinen liess.

Magadinoebene am 19. Juni 2012 um 7:22 Uhr. Zum Vergrössern aufs Bild klicken!

Magadinoebene am 23. Juni 2012 um 8:02 Uhr. Zum Vergrössern aufs Bild klicken!

Magadinoebene am 23. Juni 2012 um 8:52 Uhr. Zum Vergrössern aufs Bild klicken!

Magadinoebene am 23. Juni 2012 um 18:54 Uhr. Zum Vergrössern aufs Bild klicken!

Magadinoebene am 23. Juni 2012 um 21:24 Uhr. Zum Vergrössern aufs Bild klicken!

Magadinoebene am 25. Juni 2012 um 20:45 Uhr. Zum Vergrössern aufs Bild klicken!

Magadinoebene am 26. Juni 2012 um 9:01 Uhr. Zum Vergrössern aufs Bild klicken!

Magadinoebene am 4. Juli 2012 um 17:28 Uhr. Zum Vergrössern aufs Bild klicken!

Und nachts sah es nochmals ganz anders aus:

Magadinoebene am 18. Juni 2012 um 22:44 Uhr. Bei diesem Bild handelt es sich nicht um den genau gleichen Ausschnitt. Zum Vergrössern aufs Bild klicken!

Dienstag, 14. August 2012

Proportionaler olympischer Ruhm

Als Mitglied einer bevölkerungsmässig kleinen Nation ärgere ich mich nach Olympiaden jeweils über den Medaillenspiegel, schneiden doch bevölkerungsreiche Länder fast automatisch besser ab: viele Menschen — viele Medaillen. Doch ganz so einfach ist es nicht. Von den zehn bevölkerungsreichsten Staaten dieser Erde sind nur vier auch an der Olympiade in London in den Top Ten, während drei dieser Länder keine einzige Medaille und Indien mit 1.241 Milliarden Menschen nur gerade 6 Medaillen gewinnen konnten. Da kann die Schweiz mit 2 x Gold und 2 x Silber eigentlich ganz zufrieden sein. Doch es wäre fairer, wenn Medaillenspiegel bevölkerungsmässig gewichtet würden.

Genau das hat der Neuseeländer Craig Nevill-Manning auf seiner Internetsite www.medalspercapita.com getan:


Der Screenshot von www.medalspercapita.com zeigt die Rangliste der Olympianationen nach Bevölkerung pro Medaille sowie drei interaktive Karten (je grüner, desto mehr olympisches Metall pro Kopf).

Wenn es nach Medaillen pro Kopf der Bevölkerung geht, dann gewinnt die Karibikinsel Grenada dank Gold von Kirani James über 400 Meter (110'821 Einw./Medaille) vor Jamaika (225'485 Einw./Medaille) und Trinidad & Tobego (329,428 Einw./Medaille). Auf den Plätzen 4 bis 10 folgen Neuseeland, die Bahamas, Slowenien, die Mongolei, Ungarn, Montenegro und Dänemark. Die Schweiz, die im Tagi-Medaillenspiegel auf dem 33. Platz zu finden ist, rangiert bei den Medaillen pro Kopf noch weiter hinten an 42. Stelle.

Wie diese Grafik zeigt, haben wir an einer Sommerolympiade schon lange nicht mehr so schlecht abgeschnitten:


Zum Vergrössern auf die Grafik klicken! Sie zeigt das Abschneiden der Schweiz an den Olympiaden der Moderne: blau = Anzahl gewonnener Medaillen, rot = Bevölkerung pro Medaille, grün = Rang bei den Medaillen pro Kopf. Lesebeispiel: An der Olympiade von 1924 in Paris gewann die Schweiz 25 Medaillen, dh. eine Medaille auf 156'212 EinwohnerInnen. Damit kam die Schweiz bei den Medaillen pro Kopf auf den 2. Platz. Das war noch Zeiten! Quelle: www.medalspercapita.com

Proportional zur Bevölkerung landete die Schweiz in London auf dem viertschlechtesten Platz in der Geschichte der modernen Sommerolympiaden. Nur 1992 in Barcelona mit einer Medaille und 1908 und 1912, als es in London und Stockholm überhaupt kein olympisches Edelmetall gab, hat die Schweiz noch schlechter abgeschnitten. Das war nicht immer so: An den 27 Olympiaden schaffte es die Schweiz 11 mal in die Top Ten, an den zweiten Sommerspielen 1900 in Paris sogar auf Platz 1 von 20 rangierten Nationen. Die Tendenz allerdings zeigt abwärts: Entweder werden wir als Sportnation immer schlechter oder die anderen immer besser. Sicher ist: Es wird immer schwieriger, eine Medaille zu gewinnen.

Die "ewige" Bestenliste über 27 Sommerolympiaden zeigt bei den Medaillen pro Kopf nochmals ein leicht anderes Bild:


Auf der Rangliste auf www.medalspercapita.com/#medals-per-capita:all-time hat überraschenderweise Finnland die Nase vorn, vor Schweden und Ungarn. Von den in London 2012 erfolgreichen Ländern gehören Dänemark, die Bahamas und Jamaika auch über lange Frist zu den Top Ten. Aber schon auf Platz 11 rangiert die Schweiz, unmittelbar vor Neuseeland.

Aber auch bei anderen Vergleichskriterien auf www.medalspercapita.com ist die Schweiz langfristig eine Sportnation: 15. bei den Goldmedaillen pro Kopf, 12. bei den gewichteten Medaillen pro Kopf (Gold zählt 4x, Silber 2x, Bronze 1x). Mit total 184 mal olympischem Edelmetall und 47 mal Gold erreicht die Schweiz aber auch bevölkerungsmässig nicht gewichtet noch den guten 23. bzw. 25. Platz. Nur wenn man die 184 Olympiamedaillen der Schweiz mit dem Bruttoinlandprodukt von 635.65 Milliarden USD vergleicht, landet die Schweiz auf dem relativ schlechten 45. Rang — wirtschaftliche Grösse bedeutet nicht automatisch auch sportlicher Erfolg: Die grössten Volkswirtschaften, die USA, China und Japan, belegen in der Rangliste BIP pro Medaille nur die Ränge 69, 93 und 92. In dieser ewigen Bestenliste der armen, aber erfolgreichen Länder führt Jamaika vor Bulgarien und Ungarn.

Samstag, 11. August 2012

Der Pulverdampf hat sich verzogen

Gestern Nacht habe ich noch einen vereinsamten Erstaugustkracher gehört, aber ich glaube, jetzt hat die Schweiz ihr Feuerwerksarsenal zum Nationalfeiertag verschossen. Jahr für Jahr jagen wir 10 Millionen buchstäblich in die Luft — mehr als einen Franken pro Person. Das alljährliche Geknalle und die pyromanische Luftverschmutzung löst Diskussionen aus — im Aargau soll gar das private Abbrennen von Feuerwerk per Initiative verboten werden, weil die Knallerei eine Belastung für Mensch, Tier und Umwelt sei.

Das mag ja alles stimmen, aber schön ist es trotzdem immer wieder:



Zugegeben, die Knallerei stört mich manchmal auch, nicht am 1. August, aber an den Tagen davor und danach. Doch das Verbot privater Pyromanie am Nationalfeiertag und an Sylvester geht mir persönlich entschieden zu weit.


1. August im Garten von Frau Froggs Eltern



Noch mehr Gratisfeuerwerk — Solche Lampions sind am 1. August unabdingbar — Unser Vulkan bekam den Applaus der Nachbarn — Was von unserem Zuckerstock übrigbleibt...

Mittwoch, 1. August 2012

Oberster Chef ändert Gelübdeziel

Seit 1678 beten die Gläubigen von Fiesch im Kanton Wallis gegen das Wachstum des Grossen Aletschgletschers, der mit seinen Gletscherabbrüchen den Märjelensee zum Überlaufen und so dem Fieschertal Tod und Verwüstung brachte. Aber Gletscher sind als langfristige Institutionen nicht so leicht zu stoppen, deshalb wurde 1862 das Gelübde um eine Bitt-Prozession zur Kapelle Maria Heimsuchung im Ernerwald erweitert. Etwa gleichzeitig endete die "kleine Eiszeit" und der Aletschgletscher erreichte seinen Höchststand. Seither hat sich die Gletscherzunge um 3.5 Kilometer zurückgezogen. Mit der Klimaerwärmung hat sich der Abschmelzprozess noch beschleunigt — für die FiescherInnen höchste Zeit, über den Sinn ihrer Beterei nachzudenken.


Herbert Volken (Bild: Philippe Welti, www.alpenmagazin.org)

Der Walliser Bergführer und CVP-Politiker Herbert Volken, ein Nachfahre des Pfarrers, der das Katastrophen-Gelübde initialisiert hat, meint: "Wir haben wohl zu viel gebetet." Schliesslich war er es, der die Sache an die Hand genommen, dem Papst in Rom einen Brief geschrieben und um eine Audienz gebeten hat. Denn die Änderung eines Gelübdeziels ist in der katholischen Kirche Chefsache. Nachdem er beim Papst sein Anliegen vorbringen konnte, hat er lange nichts mehr aus Rom gehört — die römisch-katholische Kirche ist eben wie die Gletscher eine eher langfristige Institution. 2010 ist das päpstliche Placet eingetroffen.

Die Prozession findet jeweils am 31. Juli statt, ausser es wäre ein Sonntag, was letztes Jahr der Fall war. Deshalb beteten die Fiescher Gläubigen gestern erstmals mit dem Segen des obersten Chefs für das Gegenteil: für das Wachsen des Aletschgletschers und für einen vernünftigen Umgang des Menschen mit der Schöpfung.

Quellen:

Beten gegen den Klimawechsel — mit dem Segen des Papstes
ein Beitag von Herbert Eyer, gestern gehört auf Schweizer Radio DRS in der Sendung "Rendez-vous"

Glaube versetzt Gletscher
eine ausführliche Darstellung dieser Geschichte von Philippe Welti, nachzulesen im Online-Magazin www.alpenmagazin.org

Dienstag, 31. Juli 2012

Tiefseetaucher im Hochgebirge

Zugegeben, das ist etwas übertrieben: Es waren keine Tiefseetaucher, sondern Flusstaucher, es war auch nicht im Hochgebirge, sondern in einem Tessiner Bergtal, wo wir sie gesichtet haben, aber sie kamen mir vor wie Tiefseetaucher im Hochgebirge. Eine Bildergeschichte über eine Wanderung im Val Verzasca mit einem Stausee, einem schönen, aber gefährlichen Fluss und einer touristischen Ikone.

Zum Vergrössern auf die Karte klicken! Anreise mit dem Bus der FART von Locarno nach Mergoscia, Rückreise mit dem Postauto von Lavertezzo nach Tenero oder Locarno. Wir sind an der Haltestelle Diga ausgestiegen und über den Staudamm nach Contra zurückgewandert. Quelle der Basiskarte: map.geo.admin.ch




1 Kirchplatz und Friedhof mit traumhafter Aussicht

Schon der Ausgangspunkt der Wanderung ist ein Erlebnis: Vom Platz vor der Kirche von Mergoscia sieht man hinter den Palmen den Lago di Vogorno und den Lago Maggiore. Auch der Friedhof hinter der Kirche hat eine tolle Aussicht, die vom Pizzo di Vogorno dominiert wird. Das Val Verzasca geht nach links. Und auf dem Kirchplatz ist es keine Frage, wer in Mergoscia das Sagen hat(te).

2 Feuerlilie und Aussichtspunkt

Nach einem knapp stündigen Aufstieg durchs 200-Seelen-Dorf und eine vom Wald zurückeroberte Kulturlandschaft erreichten wir eine sumpfige Hochebene, wo ich diese wunderschöne Feuerlilie fotographierte:


Auf Wikipedia steht unter dem Titel "Ethnobotanik": "Die Feuerlilie ist unter anderem Bestandteil des sogenannten 'Sonnwendbüschels'. Dieses wird zusammen mit anderen 'Zauberkräutern' in das Johannisfeuer geworfen, um Unwetter fernzuhalten. Anderseits wird der Pflanze durch die feuerrote Farbe nachgesagt, dass sie Blitze anzieht, weshalb sie nicht ins Haus gebracht werden soll." Ja, was jetzt?


In den dichten Tessiner Wäldern sind Aussichtspunkte rar — hier der Blick zurück auf Mergoscia, das an einem Sonnenhang über dem Stausee klebt.

3 Der Fjord von Vogorno


Und noch einer der raren Ausblicke: diesmal auf den Lago di Vogorno, der sich fjordmässig durchs Tal schlängelt und sich in jedes Seitental verästelt. Der 1965 erstmals vollständig gefüllte Stausee fasst 105 Mio. Kubikmeter Wasser, also gut ein Zehntel Kubikkilometer — ich hätte mehr erwartet.

4 Corippo — die kleinste Gemeinde der Schweiz





Corippo: Seit 1975 unter Denkmalschutz — Der Blick über die Steindächer talauswärts — Frau Frogg lacht, obwohl die Osteria Wirtesonntag hat — Ein schmuckes Dörfchen, aber vom Aussterben bedroht

"Wir wünschen Dir einen schönen Aufenthalt, da wo alles so geblieben ist wie vor 150 Jahren...", heisst es auf der Website von Corippo. Alles wie vor 150 Jahren? Stimmt nicht ganz: 1850 hatte Corippo noch 294 EinwohnerInnen, 2010 waren es noch ganze 12 — ein Viertel davon sitzt im Gemeinderat der bevölkerungsmässig kleinsten Gemeinde der Schweiz. Dennoch hält Corippo tapfer an seiner 1822 errungenen Selbständigkeit fest.

Ganz stolz ist Corippo auf den Horrorfilm "La valle delle ombre" (The Valley), den Debüt-Spielfilm des Ungar-Tessiners Mihály Györik, der vor allem in Corippo verfilmt wurde. Über den Film, der 2009 am Filmfestival von Locarno auf der Piazza gezeigt wurde, schreibt art-tv.ch: "Magie und Aberglauben sind die Zutaten dieser ebenso düsteren wie beunruhigenden Geschichte." Der Film warte mit einer guten Story auf, habe aber auch Mängel. Hier der Trailer von "Tal der Schatten":








5 Schöner, aber gefährlicher Fluss

Da die Osteria in Corippo ihren wöchentlichen Schliesstag hatte, wanderten wir noch eine knappe Stunde weiter, bis wir an der Verzasca einen schönen Picknick-Platz fanden:




Die gebänderten Gesteinsformationen im Flussbett der Verzasca sind faszinierend und das klare Wasser lädt zum Bade, ist aber so kalt, dass mir die Abkühlung bis zu den Knien schon völlig reichte.

Aber dann sahen wir am gegenüberliegenden Ufer auch noch dies:


Zwei Flusstaucher in nicht wandertauglichen Outfits

Die Verzasca fordert immer wieder Opfer: Von 1990 bis 2000 verloren 35 Menschen ihr Leben — worauf die Gemeinde Lavertezzo eine Informationskampagne startete und an den gefährlichsten Stellen solche Warntafeln aufstellen liess:



Angesichts solcher Bilder kann ich aber die Faszination fürs Flusstauchen verstehen, auch wenn's gefährlich ist:


Bildquelle: www.abenteuer-tauchen.ch

Die Informationskampagne bewirkte übrigens, dass in der Verzasca die Zahl der Unfälle mit tragischem Ausgang deutlich zurückging...

6 Der Ponte dei salti — eine touristische Ikone

Hinter Lavertezzo überspannt der Ponte dei Salti in zwei eleganten Bögen die Verzasca. Die "Römische Brücke", die aus dem 17. Jahrhundert stammt, ist eine touristische Ikone, die jeden Tessin-Prospekt und jede Tourismus-Website ziert — und sogar für eines der Senderlogos des Schweizer Fernsehens SF1 Verwendung fand.


Der Ponte dei Salti — ein 1a-Schulreiseziel

7 Gelato al Grappa


Lavertezzo — das Ziel unserer Wanderung

Von der berühmten Brücke sind es nur etwa 300 Meter bis zum Ristorante della Posta, wo es für mich ein grosses Bier gab und für Frau Frogg ein Dessert, das sie "umhaute":


Eine Copa della casa mit Vanilleglacé, aufgefüllt mit Grappa und zugedeckt mit einer dicken Schicht Rosinen, die im Grappa eingelegt waren.

8 James Bond im Val Lavertezzo

Da wir mit dem Postauto nicht ganz in die Magadino-Ebene hinunterfahren wollten, stiegen wir beim Staudamm aus, wanderten über Diga di Contra zurück zu unserer Ferienwohnung.



Das Val Verzasca — auch eine Film-Location für James Bond

Der Blick vom 220 Meter hohen Staudamm lässt einen erschauern, aber nur schon der Gedanke an einen Bungee-Jump treibt einem den Angstschweiss auf die Stirn — doch nachdem auch 007 in "Goldeneye" da runtergesprungen ist, kommen Leute aus der ganzen Welt, um es ihm gleichzutun:


Youtube-Video von rahulunlimited

9 Der Bergpreis von Contra

Für den zehnminütigen Schlussaufstieg zu unserer Ferienwohnung gabs eine Kaktusblüte als Bergpreis:

Sonntag, 29. Juli 2012

Magengesteuerter Besuch in Locarno

Nachdem unsere Ferien für Frau Frogg denkbar schlecht angefangen hatten (vgl. Hungrig im Tessin und Hungrig am Swimming Pool), war klar, was wir am zweiten Tag machen würden: einen Ausflug nach Locarno, um Essensvorräte zu kaufen.

Mit leeren Rucksäcken fuhren wir nach Orselina ob Locarno, wo wir uns zuerst einmal einen anständigen Kaffee genehmigten. Unser erstes Ziel war die Wallfahrtskirche Madonna del Sasso, die ob Locarno auf einem Felsen thront:



Mit viel Geschick haben die Erbauer von Madonna del Sasso die Kirche und ein Kloster auf einen Felsen gebaut. Bleibenden Eindruck hinterliess aber auch die Darstellung der finalen Konferenz dieser 13 Herren:

Das letzte Abendmahl als raumfüllende Installation — zum Vergrössern aufs Bild klicken!


Frisch renoviert wurde nicht nur der Innenraum der Wallfahrtskirche sondern auch der Kreuzweg, der auf den Sacromonte führt.

Unter am Kreuzweg angekommen, gingen wir schnurstracks auf die Piazza Grande, entlang der sich Restaurant an Restaurant reiht, denn inzwischen hatten wir einen Bärenhunger und ein währschaftes Mittagessen mehr als verdient.


High Noon: Die Sonne brannte gnadenlos und die Piazza Grande, das autofreie Zentrum von Locarno, wirkt wie ausgestorben, doch das Leben findet im Schatten statt — in den Laubengängen am Rand der Piazza und unter den Sonnenschirmen der zahlreichen Restaurants.

Frau Frogg schlug sich so den Magen voll, dass sie sich auf einer Parkbank ausruhen musste. Zu diesem Zweck gingen wir in die Gardini Arp am Lago Maggiore:



Skulpturen in den Giardini Arp: S'élévant (1962), Torse de géant (1959) — sogar die Wolken versuchten, diese Bronzeskulptur abzukupfern — und Noeud de Meudon (1958)

Der Maler, Bildhauer und Dichter Jean Arp (1886 - 1966), Mitbegründer des Cabaret Voltaire, Protagonist der Dada-Bewegung und Mitglied der Surrealisten-Gruppe, verbrachte seinen Lebensabend in Locarno und schenkte der Stadt etliche Werke. Im Gegenzug erhob die Stadt Jean und Marguerite Arp zu Ehrenbürgern und widmete Jean Arp nach dessen Tod eine Gartenanlage. In den Gardini Arp sind neun Bronze-Replika von Skulpturen des deutsch-französischen Künstlers aufgestellt.

Auf dem Rückweg sahen wir uns das Castello Visconteo an:


Von der ursprünglichen Burg, die grösstenteils aus dem 15. und 16. Jahrhundert stammt, ist noch ein Fünftel erhalten geblieben.

Und schliesslich entdeckten wir eine interessante Skulptur auf der Piazza Grande und ein eigenartiges Schaufenster, das für Kupferwaren wirbt:



Dann war es Zeit für einen Grosseinkauf — Zeit, die Rucksäcke mit Vorräten zu füllen!