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Samstag, 6. Oktober 2012

Gegen den Strom pilgern

Heute sind wir mit dem Voralpenexpress nach Biberbrugg gefahren und über St. Meinrad nach Pfäffikon an den Zürichsee gewandert. Zwei Drittel unserer Wanderroute sind Teil des Jakobswegs nach Santiago de Compostela. Auf dem Wegabschnitt Rapperswil - Einsiedeln waren wir allerdings in der verkehrten Richtung unterwegs — und trafen deshalb zahlreiche Pilger und Pilgerinnen.

Zum Vergrössern auf die Karte klicken! Anreise mit dem Voralpenexpress oder der SOB nach Biberbrugg. Der Routenvorschlag für die 3½- bis 4-stündige Wanderung (in umgekehrter Richtung) stammt von der süddeutschen alpinen Wandergruppe: Biberbrugg - Altberg - Hinterhorben - Tüfelsbrugg - St. Meinrad - gestrichelte Variante via Etzel (1098 m.ü.M.) - Strickli - Luegeten - Pfäffikon (SZ). Der Abstieg vom Etzel ist steil — Wanderstöcke sind hilfreich. Rückreise ab Pfäffikon mit dem Voralpenexpress oder der SBB. Quelle der Basiskarte: map.geo.admin.ch

1 Biberbrugg — scheusslich, aber in einer lieblichen Landschaft



Biberbrugg ist nicht viel mehr als ein Verkehrsknotenpunkt. Hier zweigen die Bahnlinie und die Strasse nach Einsiedeln, an den Sihlsee und in das Skigebiet Hoch Ybrig ab. Die ersten 400 Meter der Wanderung sind deshalb scheusslich. Doch nach der Überquerung der Alp — so heisst der Fluss, der vom Alpthal durch Einsiedeln fliesst — gewinnt man rasch an Höhe und den Überblick über eine "liebliche" Landschaft:

Zum Vergrössern aufs Bild klicken! Zu sehen sind links Strasse und Bahnlinie nach Einsiedeln, dahinter Chatzenstrick und Nüsellstock, etwa in Bildmitte die Einfamilienhaussiedlung Schwyzerbrugg (das vorläufige Ende der Agglomeration Zürich, vgl. Die Schweiz ist ein Gartensitzplatz im Tages-Anzeiger vom 18.7.2011), dahinter die Rothenturmer Moorlandschaft und die Rigi, rechts der Verkehrsknotenpunkt Biberbrugg mit dem Sicherheitsstützpunkt des Kantons Schwyz (grosser Gebäudekomplex), dahinter die bewaldeten Hänge der Höhronen.

2 Altbergried — eine grossartige Moorlandschaft

Ist die Krete des Altbergs erreicht, öffnet sich der Blick in die andere Richtung auf ein Hochplateau mit Moorlandschaft:


Der Etzel und das Altbergried (hinter dem Bauernhof)


Herbstzeitlosen




Das Ried mit einem Entwässerungsgraben


Herbstliche Moorlandschaft mit Birken

3 Der Pilgerweg über die Tüfelsbrugg



Vom Hochplateau des Altbergs führt der Weg hinunter ins Sihltal. Hier treffen wir eine erste Jakobspilgerin (mit Jakobsmuschel am Rucksack als Kennzeichen). Sie ist unterwegs von St. Meinrad nach Einsiedeln. Unten im Tal überquert die im 17. Jahrhundert erbaute, überdachte Tüfelsbrugg die Sihl, die am Druesberg entspringt und bis nach Zürich runterfliesst.



Ohne das Böse gibt es auch das Gute nicht: Ohne Tüfelsbrugg gelangen die Jakobspilger aus der Ostschweiz nie nach Einsiedeln und letztlich auch nicht nach Santiago...

4 Mittagessen auf St. Meinrad

Nach einem halbstündigen Aufstieg auf einer schmalen Asphaltstrasse erreichen wir das Gasthaus St. Meinrad, wo wir uns draussen an der Sonne statt des mitgeschleppten Picknicks ein Mittagsmenu (Tomatensuppe und Hirschpfeffer bzw. Kalbsbraten) sowie einen sauren Most genehmigen. Die Lederhosenkluft des österreichischen Gastroteams wirkt in den Schweizer Voralpen leicht befremdlich, aber der Service und das Essen sind ausgezeichnet.



Auf dem Etzelpass erinnert eine Tafel daran, dass hier der Eremit Meinrad ab 838 ein paar Jahre gelebt hat, bevor er tief im Wald eine Klause und eine Kapelle errichtete, woraus sich später das Kloster Einsiedeln entwickelte — die ganze Story samt Mord an Meinrad und zwei kriminalistisch-polizeilich begabten Raben ist hier nachzulesen.

Auch mir kommen Erinnerungen hoch: Vor Jahrzehnten habe ich mit meiner damaligen Freundin auf einer mehrtägigen Wanderung von Zürich durchs Sihltal und das Wägital nach Braunwald hier im Gasthaus St. Meinrad übernachtet. Damals war ich von der Aussicht vom Etzel enttäuscht. Deshalb sparen wir uns nach dem Mittagessen den Aufstieg und vor allem den stotzigen Abstieg vom Etzel und entscheiden uns für die Direttissima.

5 Die Pilz- und Pilgersaison ist eröffnet



Auch von St. Meinrad geht es recht steil runter, so dass es die entgegenkommenden Mountain Biker es vorziehen, ihr Bike den Berg raufzustossen. Der Wald ist voll von Pilzen und PilgerInnen, die von Rapperswil über den Damm nach Pfäffikon gewandert sind und nun nach St. Meinrad hochsteigen. Gemäss Wikipedia boomt die Jakobspilgerei seit Mitte der 90er Jahre in einem noch nie dagewesenem Ausmass.

6 Das isch es Luege vo de Luegeten!



"Luege" ist das schweizerdeutsche Wort für Schauen. Und tatsächlich die Aussicht vom Restaurant Luegeten ob Pfäffikon ist grossartig:

Zum Vergrössern aufs Bild klicken! Zu sehen sind von links nach rechts: Das Restaurant Luegeten, der Zürichsee mit den Inseln Ufenau und Lützelau, der Seedamm von Pfäffikon nach Rapperswil, dahinter Bachtel und die Hügel des Zürcher Oberlands, rechts vom Damm und hinter dem weissen Merz der Obersee, dahinter der Säntis und der Speer.

7 Ein Agglo-Panorama



Pfäffikon liegt zwar im Kanton Schwyz, gehört aber längst zur Agglomeration Zürich. Grad neben der Autobahn erklärt diese Panorama-Tafel die Sehenswürdigkeiten der Gemeinde.

8 Schienentomaten



Angekommen am Bahnhof Pfäffikon, spiegelt sich das Bahnhofsgebäude in der gegenüberliegenden Fassade und Frau Frogg beschliesst, es sei noch einmal Glacéwetter und kauft sich ein Schokoladencornet.



Und zum Schluss noch die Tomaten, die unmittelbar neben den Geleisen wachsen, über die alle zehn, fünfzehn Minuten Schnellzüge Richtung Österreich oder Chur brausen. Frau Frogg meint, sie hätte irgendwo gelesen, dass die Samen dieser Schienentomaten aus den Plumpsklos der Züge stammten. Deshalb hätte sich die Tomate entlang der Gotthardlinie ausgebreitet. Si non è vero, è ben trovato!

Freitag, 5. Oktober 2012

Nebelmeer über dem Rotsee

Heute morgen war wieder einmal das Mini-Nebelmeer über dem Rotsee zu beobachten, ein lokales Wetterphänomen, das ich vor einem Jahr in meinem Beitrag Kaiserwetter und Nebelsee schon einmal beschrieben habe. Allerdings waren die Nebelschwaden, die heute über den herbstlichen Wiesen lagen, noch zauberhafter als vor einem Jahr.

Dachpanorama vom 5. Oktober 2012: Um 8 Uhr 26 liegt Nebel im Götterseetal, darüber kündigt sich Kaiserwetter an — zum Vergrössern aufs Bild klicken!

Mittwoch, 3. Oktober 2012

Hände hoch, Feiertag!

Nichts gegen Feiertage, mit denen katholische Lande reichlicher gesegnet sind als protestantische (vgl. Tabelle auf Wikipedia) — sie bringen zusätzliche Freitage, die man gerne einzieht. Ein gutes Beispiel ist Mariä Empfängnis am 8. Dezember, im reformierten Zürich als "Mary's Shopping Day" berüchtigt, weil Heerscharen aus der Zentralschweiz einfallen, um sich mit Weihnachtsgeschenken einzudecken. Aber wenn Feiertage so überfallartig stattfinden, wie Ietzthin St. Leodegar in Luzern, hätte man lieber keinen Feiertag.

Am 2. Oktober wird in Luzern der Kirchenpatron der Hofkirche gefeiert. Sankt Leodegar, ein renitenter Heiliger, der trotz Blendung und herausgerissener Zunge weiter predigte, wurde letztlich nicht wegen seines Glaubens, sondern wegen seiner weltlichen Ränke zum Märtyrer. Zu Ehren dieses eher mittelmässigen Heiligen also bleiben am 2. Oktober in der Stadt Luzern die Geschäfte geschlossen. Damit nicht genug: Am Vortag von Feiertagen schliessen die Läden wie an einem Samstag schon um 16 Uhr. Da heuer der Leodegar auf einen Dienstag fiel, hatten wir am Montag ladenöffnungsmässig schon wieder Samstag — eine Falle für einen wie mich, der mit St. Leodegar nichts am Hut hat, deshalb jedes Jahr von diesem lokalen Feiertag überfallen wird und überrascht vor geschlossenen Ladentüren steht.



Dieses Jahr war mir Leodegar sogar rechtzeitig ins Bewusstsein vorgedrungen, aber als ich am Montagabend noch Ersatz für diese Spezialbirne beschaffen wollte, hatte ich nicht mit einem Samstag an einem Montag gerechnet und mein favorisiertes Elektrofachgeschäft Maréchaux war wegen Leodegar schon zu. Aber — oh, Wunder — die Geschäftsführerin, die im hell erleuchteten Laden noch Bürokram erledigte, schloss extra nochmals auf und verkaufte mir die gewünschte Spezialbirne. Das nenne ich Service! Und: Unsere Esstischlampe "Titania" erstrahlt trotz Leodegar in neuem Licht:



Übrigens: Auch die Luftwaffe im benachbarten Emmen foutierte sich um den Luzerner Stadtheiligen und störte die Feiertagsruhe mit Übungsflügen von Kampfjets. Sankt Leodegar kann als Feiertag also getrost abgeschafft werden.

Sonntag, 9. September 2012

Sonniges Regenflüeli

Heute hat der Spätsommer noch einmal alles gegeben: schön und angenehm warm, aber nicht zu heiss. Es wäre sünd und schad gewesen, keinen Ausflug zu machen. Frau Frogg wünschte sich einen Ausflug ins Eigenthal und eine Wanderung aufs Regenflüeli (1582 m.ü.M.) — also keine richtige Fluh, sondern nur ein Flüeli, aber die Aussicht war dennoch grossartig.

Zum Vergrössern auf die Karte klicken! An- und Rückreise mit dem Postauto vom Bahnhof Luzern bis ins Eigenthal (Endstation Talboden). Der Aufstieg via Under und Ober Honegg erfolgt über einen steilen Fahrweg, der nur mit wirklich geländegängigen Fahrzeugen fahrbar ist. Der oberste Teil (4) verläuft in sumpfigem Gelände — gutes Schuhwerk ist angesagt. Der Abstieg vom Rosebode runter ins Eigenthal ist ein steiler, treppenartiger Zickzackweg, der in die Knie geht. Alternativen wären der Abstieg auf der Aufstiegsroute oder via Studberg - Hirsbode - Ober und Under Pfifferswald zurück ins Eigenthal. Quelle der Basiskarte: map.geo.admin.ch

1 Alle wollen ins Eigenthal

Zum Glück war Frau Frogg früher am Bahnhof und hat mir im Postauto einen Platz reserviert, denn bei diesem traumhaften Spätsommerwetter wollten — so schien es wenigstens — alle ins Eigenthal. Das Postauto war so voll, dass der Kurs doppelt geführt wurde. Im Eigenthal waren alle Parkplätze voll belegt. Für meinen Geschmack waren heute eindeutig zu viele Leute im Eigenthal, aber sobald unser Aufstieg begann, war der Trubel vorbei...

2 Ein Hüsli am Hüsli


Ein Vogelhaus am Stall auf der Ober Honegg

3 Mittagsrast im Chrache



Ein "Chrache" oder "Krachen" ist ein schweizerdeutsches Wort für einen abgelegenen Unort, wo nichts zu holen und nichts zu machen ist, wie der Bachlauf, an dem wir Mittagsrast machten: Voll von Felsbrocken, die mal runtergekommen sind, finden Bäume kaum Wurzelgrund, so dass sie oft schräg und verkrüppelt wachsen. Aber mit dem Moos und den Farnen wirkt dieser Chrache wie ein verwunschener Ort...

4 Der Grashüpfer auf der Silberdistel



Unterwegs gab es einiges zu entdecken, wie z.B. diesen sprungbereiten Grashüpfer auf einer Silberdistel oder diese Baumleiche am Wegrand:



5 Schuss und Gegenschuss

Das Regenflüeli ist eine dem Pilatusmassiv vorgelagerte Fluh, die eine grossartige Aussicht auf die Region Luzern bietet, die ich als Panoramabild einfach festhalten musste:

Zum Vergrössern aufs Bild klicken! Zu sehen sind von links nach rechts: Vorne der Studberg und der Hüenerhubel, hinten das Mittagsgüpfi und der Risetestock, vorne das Entlebuch, hinten der Napf und der Jura (unter den Wolken), vorne das Dorf Schwarzenberg, das Luzerner Hinterland, den Sempacher See, unter dem Kondensstreifenkreuz im Mittelgrund: Emmenbrücke mit seiner Industrie, dann Kriens mit dem Sonnenberg, dann Luzern und das Luzerner Seebecken, über der Frau mit dem weissen Hut: der Vierwaldstättersee und die Rigi, links vom Gipfelkreuz schaut der Bürgenstock über eine bewaldete Flanke, dahinter die Mythen, rechts vom Gipfelkreuz: vorne das Eigenthal, dahinter das Klimsenhorn, der Pilatus, das Tomlishorn und das Widderfeld.

Luzern habe ich etwas rangezoomt:


Luzern vom Regenflüeli um 13:22 Uhr


Das Regenflüeli von Luzern um 16.54 Uhr

6 Ein Privatheiligtum am Schopfberg



Angesichts solcher Privatheiligtümer wird mir immer wieder schlagartig bewusst, dass meine Wohnregion erzkatholisch ist und einzelne so tief gläubig sind, dass sie solche Privatheiligtümer unterhalten und pflegen.

7 Der Blick in die Tiefe


Der Blick vom Rosebode ins Eigenthal

Da wussten wir: Das wird ein steiler Abstieg — zum Glück hatten wir unsere Wanderstöcke dabei.

8 Der Herbst kündigt sich an



Die meisten Blumen sind schon verblüht und die Herbstzeitlosen zeigen, dass der Herbst im Anmarsch ist.

Nach einer wunderschönen Wanderung erwischten wir mit etwas Glück ein frühes Postauto, das uns aus dem Trubel im Eigenthal zurück nach Luzern brachte.

Samstag, 1. September 2012

Stau am Sedel

Blicken wir aus unseren Dachfenstern, bietet sich jeden Morgen und jeden Abend das gleiche Bild: Stau am Sedel. Die kurvige Strasse über den Hügel hinter dem Rotsee verbindet die Autobahnverzweigung Rotsee sowie die Autobahnausfahrt Emmen Süd mit der Stadt Luzern. Doch in der Rush hour kann das städtische Strassennetz den Verkehr nicht mehr schlucken. Der Verkehr bricht zusammen und es geht gar nichts mehr — die Amerikaner nennen das Gridlock. Mit einem Bypass wollen die Luzerner Verkehrsplaner den täglichen Verkehrskollaps verhindern. Dabei liegt das Problem an einem ganz anderen Ort.


Der Stau am Sedel, aufgenommen von meinem Dachfenster am 28. März 2012 um 17.28 Uhr. Im Hintergrund zu sehen ist die Luzerner Agglomerationsgemeinde Emmen.

Symptome des Verkehrsinfarkts

Neben den tagtäglichen Staus am Sedel sind noch andere Symptome des Verkehrsinfarkts zu beobachten:
  • Auch die Busse der städtischen Verkehrsbetriebe bleiben im Stau stecken, weil auf neuralgischen Streckenen separate Busspuren fehlen. Als Folge bricht der ganze Fahrplan zusammen, wie letzthin, als abends zwei 19er am Schlossberg im Abstand von zehn Fahrzeugen unterwegs waren — so wird aus einem Viertelstundentakt ein 28/2-Minutentakt und der öV unzuverlässig und unattraktiv.
  • Sind die grossen Adern verstopft, weichen die AutomobilistInnen auf Äderchen und Kapillaren aus — in der Hoffnung, da schneller voranzukommen. Ein gutes Beispiel ist unsere verkehrsberuhigte Quartierstrasse, die in Stosszeiten als Schleichweg dient: Bei wenig Verkehr sind die grösseren Strassen rund ums Quartier attraktiver als die Durchfahrt durch die Tempo-30-Zone, bei viel Verkehr wird das langsame Vorankommen in Kauf genommen.
Kommunizierende Röhren


In kommunizierenden Röhren ist der Pegelstand überall gleich hoch. Selbstverständlich aber haben die dickeren Röhren mehr Volumen und können so mehr Flüssigkeit aufnehmen. Bildquelle: www.physnet.uni-hamburg.de

Es sollte allmählich bekannt sein, dass der Verkehr auf Autobahnen und Strassen reagiert wie ein System von kommunizierenden Röhren: Ist in einer Röhre das Verkehrsaufkommen niedriger als in anderen, gleicht sich das rasch aus. Das gilt insbesondere auch für neue Röhren — der Pegel sinkt im Gesamtsystem. Bezogen auf den Pendlerverkehr heisst das auch, dass neu geschaffene Strassenkapazitäten dazu führen, dass PendlerInnen, die wegen der täglichen Staus auf den öV umgestiegen sind, wieder das bequemere Auto als Transportmittel wählen.

Denkfehler 1

Solange das innerstädtische Verkehrssystem der Stadt Luzern nicht mehr Verkehr aufnehmen kann, hilft es nicht, die Verkehrsachsen, die vom Umland ins Zentrum führen, auszubauen. Im Vergleich mit den kommunizierenden Röhren entspricht das innerstädtische Verkehrssystem der Querröhre, die alle anderen verbindet. Würde man eine der senkrechten Röhren verdicken oder eine zusätzliche Röhre einfügen, würde zwar der Pegelstand im Gesamtsystem sinken, aber die Querröhre bliebe so oder so voll.


Strategie 2030 im Aggloprogramm Luzern mit Autobahnen und Zubringern (gelb), Bahnsystem mit Tiefbahnhof und S-Bahn-Linien (weiss & hellgrau), Hauptstrassen mit öV und Umsteigepunkten (braun). Quelle: www.aggloprogramm.lu.ch

Das ist also die Behandlungsstrategie der Verkehrsdoktoren von Luzern: Bis 2030 wollen sie das bestehende Autobahnsystem durch einen Bypass (einer zweiten Autobahn durch den Sonnenberg) und einen Cityring mit einer Nord- und einer Südspange*) ergänzen und so den drohenden Infarkt verhindern. Es ist durchaus möglich, dass der Bypass die regionalen Hauptverkehrsachsen vom Durchgangsverkehr entlastet und so mehr Kapazität für den Ziel- und Quellverkehr schafft — aber letztlich sind die Nord- und die Südspange vor allem zusätzliche Röhren, die den Verkehrsdruck in den Quartieren erhöhen. Ohne zusätzliche Massnahmen, die dafür sorgen, dass die öV-Achsen (braun) entlastet werden, werden die städtischen Busse auch in Zukunft im Stau stecken bleiben.


Während noch weitgehend unklar ist, ob die Nordspange realisiert wird und wo sie durchführt, wird am Lochhof munter gelocht: Im Rahmen der Gesamterneuerung des Luzerner Cityrings entsteht hier mit der Autobahnausfahrt Luzern-Lochhof das erste Teilstück der Nordspange — wenn das keine Salamitaktik ist...

Denkfehler 2

Solange jedes Mobilitätsbedürfnis befriedigt und jede Einfamilienhauszone optimal an den öffentlichen und privaten Verkehr angeschlossen wird und sei sie noch so abgelegen, setzt sich die unökologische Zersiedelung unseres Landes und die Zunahme des Pendelverkehrs fort. Die suburbanisierten Zonen wuchern weiter und für jedes gelöste Verkehrsproblem wachsen wie bei der Hydra zwei nach.


Zersiedelung in Wauwil, aufgenommen aus dem Schnellzug Olten - Luzern am 25. März 2012 um 17.44 Uhr. Zu grosse Bauzonen führen zur "planlosen" Überbauung des Mittellands.

Siedlungsplanung ist Verkehrsplanung

In der Schweiz wird die Siedlungsentwicklung nicht durch die Regional- und Ortsplanung gesteuert, sondern durch die Verkehrsplanung und den Ausbau des Verkehrssystems, weil die Festlegung von Bauzonen in die Kompetenz der Gemeinden fällt, wurden vielerorts zu grosse Bauzonen ausgeschieden. Als Folge sind die Baulandreserven immens und oft verkehrsmässig schlecht erschlossen. So wird letztlich da gebaut, wo Bauland noch erschwinglich und die Fahrzeiten an den Arbeitsplatz im Zentrum noch erträglich sind. An gut erschlossenen Lagen hingegen wird oft nicht gebaut, weil Grundstücksbesitzer, die Bauland horten, nicht gezwungen werden können, ihr Land zu überbauen.

Rezepte gegen den Verkehrsinfarkt


Wieviel Platz brauchen Bus, Auto und Rad in der Stadt? Antwort gibt ein Poster des Planungsbüros der Stadt Münster, abgebildet auf www.nedhardy.com.

  • Konsequente Bevorzugung des öffentlichen Verkehrs und des Veloverkehrs: Wie obiges Bild eindrücklich zeigt, braucht der öV und der Radverkehr viel weniger Platz als der motorisierte Individualverkehr.
  • Road-Pricing (oder auch Innenstadtmaut auf Wikipedia): Da Verkehrsraum im Stadtzentrum ein knappes Gut ist, sollte er nicht mehr gratis zu haben sein, sondern etwas kosten.
  • Erhöhung der Fahrkosten: Mit der Erhöhung der Benzinpreise und der Abopreise des öV, wird das Pendeln teurer und das Wohnen im Grünen weniger attraktiv.
  • Konsequente Auszonung: Bauland, das mit dem öV schlecht erschlossen ist, sollte konsequent ausgezont werden. Allenfalls könnten die an besser erschlossenen Lagen erzielten Grundstücksgewinne abgeschöpft und zur Entschädigung von Gemeinden verwendet werden, die auszonen und deshalb keine guten SteuerzahlerInnen anziehen können. So würde sich langfristig der Modal Split zugunsten des öV verbessern.
Fazit: Es gibt keine einfachen Rezepte gegen den tagtäglichen Verkehrskollaps, aber der Stau am Sedel hat auch etwas Tröstliches: Solange AutofahrerInnen regelmässig im Stau stecken bleiben, überlegen sie es sich zweimal, im Grünen zu bauen und in die Stadt zur Arbeit zu pendeln.

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*) Erst diese Woche liess die Luzerner Stadtregierung als Antwort auf die Initiative "Kein Südzubringer in die Stadt" verlauten, dass sie am Südzubringer festhält (vgl. Medienmitteilung).

Donnerstag, 30. August 2012

Monochromes Tessin

Meine neue Kamera ist auch ein Spielzeug, das mich manchmal dazu verleitet, mit den verschiedenen Funktionen zu experimentieren. Frau Frogg belächelt diesen Spieltrieb, andererseits ist sie froh über die Panoramafunktion, die meinen Panoramatick wesentlich erträglicher macht. Ganz besonders angetan bin ich von der Monochromfunktion, bei der eine ausgewählte Farbe erhalten bleibt, während alle anderen Farben des Bild in Graustufen umgewandelt werden.

In Grün-Schwarz-Weiss:


Die Magadino-Ebene während eines Gewitters und ...


... der Waldstreifen neben unserer Ferienwohnung vom Balkon.



Bilder von einem Grotto auf dem Monte Lego in Blau-, Rot- bzw. Grün-Schwarz-Weiss:



In Grün-Schwarz-Weiss:


Das Bachbett im Val Verzasca und ...


... die Aussicht vom Restaurant oberhalb von Madonna del Sasso.

Ich finde, sogar die Schönwetterbilder in der Mitte wirken irgendwie beängstigend oder zumindest verstörend — auf jeden Fall aber eröffnen sie einen neuen Blick auf die Welt.

Mittwoch, 29. August 2012

Faszinierende Migrationsgeschichten

Er schafft es immer wieder, interessante Geschichten aufzutischen und in kleine, aber feine Ausstellungen umzutopfen: Hilar Stadler, Leiter des Krienser Museums im Bellpark präsentiert mit der Ausstellung "Ankommen in CH-6010 Kriens" Migrationsgeschichten von acht EinwanderInnen aus aller Welt, die im Luzerner Vorort angekommen sind und hier ihre zweite Heimat gefunden haben. Die Ausstellung gewährt faszinierende Einblicke in fremde Welten mitten in der Schweiz und hält uns SchweizerInnen einen Spiegel vor, der zum Nachdenken anregt.

Als Einstieg präsentiert das Museum im Bellpark einige Facts zur Migration, die einem nachdenklich stimmen, z.B. dass 2010 die ausländische Wohnbevölkerung in der Schweiz gegenüber dem Vorjahr um 39'200 (+ 2.2%) auf 1'837'100 Personen anstieg. Oder: Mit einem Ausländeranteil von 22.8% gehört die zu den europäischen Ländern mit höchsten Ausländeranteilen. Oder: In Kriens leben Menschen aus 107 Nationen — wenn das keine Herausforderung ist. Höchste Zeit also, sich auch mit den sozialen und kulturellen Aspekten der Migration auseinanderzusetzen.



Der Hauptteil der Ausstellung im zweiten Obergeschoss besteht aus acht Videointerviews mit MigrantInnen aus Brasilien, Indien, Iran, Kirgisien, Libanon, Sri Lanka, Somalia und Tunesien, die darüber reden, warum sie in die Schweiz gekommen sind, was sie für Erfahrungen gemacht haben und wie ihr Verhältnis zur Schweiz und zu den SchweizerInnen ist. Die acht MigrantInnen sind zwischen 1989 und 2009 in Kriens angekommen. Ihre Deutschkenntnisse sind sehr unterschiedlich — deshalb ist es z.T. recht anstrengend, ihren Erzählungen in den Videoportraits zu folgen, aber es lohnt sich, weil diese Menschen etwas zu erzählen haben. Das sind zum Teil heftige Geschichten über Folter und Flucht aus ihren Herkunftsländern, aber auch lustige Anekdoten über kulturelle Missverständnisse in der Schweiz.



Aber noch fast interessanter ist das zweite Element der Ausstellung: Die acht MigrantInnen haben Fotographien ihrer neuen Heimat gemacht. Ihr Auftrag: "Fotographieren Sie 1. einen Ort oder eine Situation in Ihrer Wohnung, 2. das Haus oder das Quartier, in dem Sie wohnen, 3. den Ort, wo Sie sich am meisten aufhalten oder wo Sie arbeiten, 4. einen der Orte, wo Sie sich mit Bekannten treffen, 5. einen Ort, den Sie Ihren Verwandten zeigen würden, einen Ort also, den man gesehen haben muss, 6. einen Ort, an dem Sie Schweizern begegnen, 7. eine Situation, die Ihnen besonders gefällt, 8. eine Situation, die Ihnen überhaupt nicht gefällt, 9. etwas, das für Sie typisch schweizerisch ist, 10. einen Ort oder einen Gegenstand, der für Sie sehr wichtig ist oder der Ihnen Kraft gibt, 11. einen Ort, wo Sie sich gerne aufhalten oder wo Sie sich wohl fühlen. 12. Wenn Sie sonst noch etwas zeigen möchten, halten Sie es mit der Fotokamera fest."



Herausgekommen sind keine fotographischen Meisterwerke, aber viele gelungene Fotos, die den Blick der MigrantInnen auf ihre neue Heimat ausgezeichnet widerspiegeln — es ist ein Blick von aussen auf Kriens, Luzern und die Schweiz. Da ist der srilankische Hausaltar, der Lieblingsladen mit den Produkten aus der ersten Heimat, da sind aber auch die aufgereihten Einkaufswägelchen im Shoppingcenter oder die Anzeige mit den Wartezeiten bis zur nächsten Bus-Abfahrt. Interessant, was den Leuten, die neu in der Schweiz sind, positiv und negativ auffällt und was ihnen wichtig genug ist, um es im Bild festzuhalten. Ankommen in CH-6010 Kriens — eine sehenswerte, sehr persönliche Ausstellung über Migration.

Die Ausstellung und das dazu gehörende Rahmenprogramm ist ein Projekt des Museums im Bellpark in Zusammenarbeit mit Studierenden der Pädagogischen Hochschule Zentralschweiz Luzern und dem Verein "Migration — Kriens integriert".
Zu sehen ist sie noch bis 28. April 2013, jeweils Mi bis Sa 14-17 Uhr, So 11-17 Uhr.

Ausserdem leistet das Museum im Bellpark mit dieser Ausstellung auch einen Beitrag zum Aufbau des Musée imaginaire des migrations. Das MIM ist ein Museum ohne Wände und eine Plattform für Migrationsgeschichten.

Montag, 27. August 2012

Wenn der Mond sprechen könnte...

... würde er zweifellos feststellen, dass Mitt Romney keinen graden Gedanken fassen kann — zwitschert doch der Mann, der US-Präsident werden will, folgendes: "Neil Armstrong today takes his place in the hall of heroes. The moon will miss its first son of earth." Dass der Mond je jemanden vermissen wird, auch wenn es sein erster Erdensohn ist, wage ich zu bezweifeln und warte geduldig auf die Bestätigung vom Mann im Mond.

Auch bin ich mir nicht ganz sicher, ob Neil Armstrong ein Held ist, aber wenn, dann hätte er seinen Platz in der Heldenhalle schon längst eingenommen — es sei denn, sie befände sich im Jenseits. Aber vielleicht weiss Mitt Romney mehr...

Wenn der Mond den amerikanischen Wahlkampf verfolgen würde, müsste er feststellen, dass Romney der uninformierteste Präsidentschaftskandidat aller Zeiten ist, der kein, aber wirklich kein Fettnäpfchen auslässt und sei es noch so gross:

Tagesschau vom 31.07.2012
Die Schweizer Tagesschau vom 31. Juli 2012 über Mitt Romneys Fettnäpfchen-Tour

Leider spielt es wahrscheinlich keine Rolle, wie gut Mitt Romney denken kann und in wie viele Fettnämpfchen er tritt, entscheiden wird diesen Wahlkampf die Frage, wer das amerikanische Wahlvolk mit den besseren wirtschaftlichen Rezepten überzeugen kann. Sicher aber ist: Der Mond würde Obama wählen.