Für unseren Wien-Besuch hatten wir uns wenig vorgenommen. Wir wollten uns treiben lassen. Aber etwas stand auf unserer Liste, das wir unbedingt machen wollten: einen thematischen Stadtrundgang auf den Spuren von Orson Welles' Kultfilm "The Third Man".
Aber irgendwie hat's terminlich nicht gepasst und wir mussten dieses Vorhaben auf ein anderes Mal verschieben. Deshalb haben wir am Abend nach unserer Heimkehr uns diesen Wien-Nostalgie-Film nochmals als DVD reingezogen:
Wir hofften, wir würden wenigstens einige der Schauplätze wiedererkennen, und tatsächlich konnten wir mehr Drehorte verorten als wir gedacht hatten. Zum Beispiel diesen hier:
Harry Lime auf der Flucht, nachdem Holly Martins ihn in die Falle gelockt hatte
Die Sequenz ist nur kurz, sie dauert vielleicht 15, 20 Sekunden, und trotzdem erkannten wir die lange Treppe, die zur romanischen Rupertskirche (Wiens älteste noch erhaltene Kirche) führt, als Drehort für diese Verfolgungsjagd durch die Gassen Wiens.
Für etliche Schauplätze, die wir im Film wiedererkannt haben, habe ich kein passendes Vergleichsbild von unserem Wien-Besuch, aber eines habe ich noch: das Riesenrad im Prater.
Holly Martins trifft Harry Lime beim Riesenrad
Mir gefallen diese Gegenüberstellungen, aber andere kennen den Film und die Drehorte besser. Deshalb habe ich noch ein bisschen recherchiert und folgendes gefunden:
www.derdrittemann.at
Die offizielle Seite mit Informationen über den Film, die Drehorte, die Führungen, das Museum, das Buch und die Musik zu "The Third Man"
www.photobibliothek.ch
Die besten Gegenüberstellungen von Bildern aus dem Film und neuen Fotos von den Wiener Schauplätzen sowie einige tolle Dokumente
Heute haben wir eine Expedition in die Agglomeration unternommen — einen Osterausflug mit allem Drum & Dran: Schönes Panorama, Schlösschen mit einer wechselhaften Geschichte, Bio-Bratwurst in der Gartenbeiz, lauschiges Moos im Wald, blühende Obstbäume. Was will man mehr?
Aufgebrochen sind wir von zu Hause. Und das war unsere Route:
Zum Vergrössern auf die Karte klicken! Quelle der Basiskarte: map.geo.admin.ch
1757 liess Franz Dominik Schumacher das Schlössli Utenberg erbauen. Er war Ratsherr von Luzern und Offizier in der herzoglich-lothringischen Schweizergarde, die später zur Schweizergarde in Wien wurde.
Bekanntester Bewohner des Landsitzes Utenberg war Ständerat Josef Schumacher-Utenberg (1793-1860). Obwohl er einem Luzerner Patrizier-Geschlecht entstammte, gehörte er politisch dem gemässigt liberalen Lager an. Seinen sieben Töchtern, die mit Ausnahme einer Klosterfrau alle in angesehene Luzerner Familien einheirateten (Pfyffer von Altishofen, Schwytzer von Buonas, von Moos, Zelger, Nager, Degen), pflanzte er bei ihrer Geburt auf Utenberg je einen Zwetschgenbaum, weshalb noch heute alle seine Nachfahren in der Luzerner Gesellschaft den Beinamen "Zwetschgen" führen.
Das Schlössli Utenberg war später ein Trachtenmuseum. Ab 1997 wurde es als Treffpunkt für Gastronomie und Kultur genutzt. Zur Zeit ist es leider geschlossen — das Besitzerpaar sucht nach einer langfristigen und nachhaltigen Lösung für die Zukunft...
3 Golf auf dem Dietschiberg
Zwei Bilder für Frau Frogg, die sich über die zahlreichen Golfplätze in der Region aufregt. Auf einer Fläche von etwa 6 x 12 Kilometern (etwas grösser als auf obigem Kartenausschnitt) wird es künftig drei Golfplätze geben. Und: Für jede Gefahr gibt es in der Schweiz die passende Verbauung: Lawinenverbauungen, Steinschlagverbauungen, Hochwasserverbauungen — und eben auch Verbauungen gegen Golfbälle...
4 Gasthof Rössli in Adligenswil
Mittagspause auf der schönen Gartenterrasse des Rössli in Adligenswil: Unter den Sonnenschirmen schmeckten die Rösti und die Bio-Bratwürste vom Uelihof ausgezeichnet. Und etwas gegen den Durst gab es auch.
5 Eigenartige Landschaft mit Nagelfluhrippen
Die Landschaft oberhalb von Meggen besteht aus länglichen Nagelfluhrippen und sumpfigen Mulden dazwischen.
6 Ein verwunschener Moorsee mitten im Wald
Sonst ist im lauschigen Wagemoos nur Vogelgezwitscher, Entengeschnatter und Fröschegequake zu hören, aber an einem Karsamstag ist auch im Wagemoos mehr los als gewöhnlich...
Hier versuchte Frau Frogg den Frosch zu küssen.
7 Blühende Obstbäume oberhalb Küssnacht
Der "Bluescht" ist zwar schon fast vorbei, aber einzelne Bäume blühen immer noch prächtig.
8 Das Ziel unserer Expedition: Küssnacht am Rigi
Nach dreieinhalb Stunden reine Wanderzeit kommt das Ziel unserer Wanderung in Sicht: Küssnacht am Rigi. Von hier geht es mit dem Voralpenexpress zurück nach Luzern.
Dass die Türken 1683 unter Führung von Grosswesir Kara Mustafa Wien belagerten und nach ihrer Niederlage in der Schlacht am Kahlenberg überstürzt flüchten mussten, hat Folgen bis heute.
Drei Jahre nach der Vertreibung der Türken wurde die Turmbekrönung des Stephansdoms — seit 1519 Halbmond und Stern — endlich durch ein Kreuz ersetzt. Der Turm war zwar kein Minarett, aber der Schmuck der Turmspitze doch recht irreführend...
Und dann war dank den Kanonen, die die Ottomanen zurückgelassen hatten, genügend Bronze da, um die 22.5 Tonnen schwere alte Pummerin, weltweit die zweitgrösste freischwingend läutbare Glocke in einem Kirchturm, zu giessen. Welch Ironie der Geschichte, dass die "Stimme Österreichs" aus türkischer Bronze besteht.
Doch die vielleicht wichtigste und nachhaltigste Hinterlassenschaft des Schwarzen Mustafa ist die Wiener Kaffeehauskultur. Auch die damit verbundene Legende ist sackstark:
"Man schreibt den 12. August 1683. Die Türken greifen mit aller Vehemenz die Stadt Wien an. Die heldenhaften Wiener unter der Führung Graf Starhembergs können den Ansturm noch einmal abwehren. Doch mit einem Schlag ist deutlich geworden, wie gefährlich die Lage der umzingelten Stadt ist. Man braucht Hilfe. Es wird ein Wiener Namens Georg Franz Kolschitzky auserkoren, als Bote Hilfe von Karl von Lothringen zu erbitten. Dieser war es, der zusammen mit Polenkönig Jan Sobjesky, die Türken tatsächlich vertrieb. Als Dank für seine Leistungen richtete Kolschitzky an die Stadtväter, die ihn nach einer Belohnung fragten, einen anscheinend bescheidenen Wunsch: Er wünschte sich, die zurückgelassenen Kaffeesäcke aus dem Heereslager der Türken und ein Haus, wo er als erster Wiener dem Berufe des Kaffeesiedens nachgehen konnte. Dieses war das Haus zur blauen Flasche. Er röstete die grünlichen, unansehnlichen Bohnen, mahlte sie und goss kochendes Wasser darüber. So entstand ein Getränk - Kaffee genannt. Diesen Kaffee schenkte er zunächst mit mäßigem Erfolg aus, denn den Wienern schmeckte dieses bittere schwarzen Gesöff nicht. Durch ein Missgeschick gelangte eines Tages Zucker in die schwarze Brühe. Genau das fehlte dem Getränk. Ein paar weitere Experimente, etwas Milch in die Brühe, die Wiener Melange war geboren." www.magellanworld.net
Seither haben die WienerInnen diese Kaffeehauskultur ständig erweitert und verfeinert. Die Liste der klassischen Wiener Kaffeespezialitäten ist inzwischen so lang, dass einem Nichtwiener die Auswahl schwerfällt: siehe bebilderte Wiener Kaffeevielfalt auf www.cafe-wien.at. Abgesehen davon, dass im Cafe Mozart (seit 1794) die Kaffeehauskultur sehr viel gepflegter ist, ging es mir bei der Kaffeeauswahl wie diesem Typen in einer Schweizer Versicherungswerbung:
Angesichts dieser Kaffee-Multioptionengesellschaft bin ich froh, dass ich mich zu Hause nur zwischen Bialetti und Clooney entscheiden muss, weil: Türkischer Kaffee ist wegen des Aufwands nicht wirklich eine Option.
Die WienerInnen nennen das Wahrzeichen ihrer Stadt liebevoll "Steffl". Von der Türmerstube im 137 m hohen Südturm bietet sich ein grandioser Ausblick auf die Stadt — auch bei Regenwetter.
Bei regnerischem Aprilwetter die 343 Stufen zur Türmerstube hinaufzusteigen, ist weniger blöd als es scheint. Erstens kommen einem dann auf der Wendeltreppe weniger Leute entgegen, was im sehr engen Treppenhaus von Vorteil ist. Zweitens kann es wie mir passieren, dass man oben in der Türmerstube — abgesehen vom Aufpasser — ganz alleine ist. Und drittens: Aprilwetter ändert sich rasch.
Und das ist der grandiose Ausblick über Wien:
Der Blick vom Südturm des Stephansdoms nach Norden, Osten und Süden — zum Vergrössern aufs Bild klicken!
Wer genauer hinschaut, merkt, dass der Horizont wellenförmig verläuft, was wahrscheinlich davon kommt, dass ich die neun Fotos, aus denen ich dieses Panorama zusammengesetzt habe, nicht von einem zentralen Standort aus aufnehmen konnte, sondern von drei Fenstern aus machen musste.
Und das ist der Blick aus dem vierten Fenster nach Westen und der Blick von unten zurück auf den Südturm:
Wer kennt diese vier Ansichten von Wien mit Blick in die Vertikale? Auf die Idee für dieses kleine Bilderrätsel für WienkennerInnen hat mich Frau Walküre gebracht, die den verregneten Schanigarten problemlos erkannt hat.
Zwei der vier Ansichten sind in öffentlichen Passagen aufgenommen, die beiden anderen in Cafés.
Nach vier interessanten und trotz gruseligem Aprilwetter schönen Tagen in Wien ist mein Kopf voll von Erlebnissen und Geschichten. Z.B. weiss ich jetzt was ein Schanigarten ist.
Bei Katiza, unserer charmanten Gastgeberin, lag dieser Lokalführer aus dem Falter-Verlag rum — zwar handlich im Format, aber mit 848 Seiten dennoch ein Totschläger. Ich habe drin geblättert und fand's interessant, dass in der jährlichen Neuauflage für jeden Wiener Bezirk jede Veränderung der Beizenszene akribisch notiert wird. Und dann ist mir aufgefallen, dass etwa bei jedem zweiten Lokaleintrag die Bemerkung "Schanigarten" stand. "Was, bitte, ist ein Schanigarten?", fragte ich unsere herzliche Gastgeberin.
Sie erklärte mir, dass jeder Wirt jemanden hat, der für ihn die anstrengenden Arbeiten erledigt. In Wien ist das meistens der Schani (wienerisch für Jean bzw. Hans). Sobald es wärmer wird und man wieder draussen sitzen kann, sagen also die Wiener Wirte zu ihrem Schani: "Schani, trag den Garten aussi!" Deshalb ist das Wiener Pendant zu unserer Gartenbeiz ein Schanigarten.
In unserer Dachwohnung sind immer wieder fantastische Sonnenuntergänge zu erleben. Wie zum Beispiel heute Abend.
Faszinierend finde ich, wie der Mammutbaum in der Bildmitte vor dem geröteten Abendhimmel zu einem gigantischen Scherenschnitt wird, während er tagsüber dunkelgrün ins Himmelblau ragt.
Übrigens: Die Kehrrichtverbrennungsanlage zwischen Wald und Mammutbaum markiert für uns die Sommersonnenwende: Zwei, drei Tage geht die Sonne rechts vom Kamin unter, dann werden die Tage wieder kürzer...
Dachpanorama vom 6. April 2011 — zum Vergrössern aufs Bild klicken!
Die Luzerner Kulturszene erlebt ein Déjà-vu: Wieder einmal sind in der Nähe von bestehenden Kulturbetrieben Wohnungen im oberen Preissegment geplant, wieder beruhigen die Investoren und die Behörden und wieder ist zu befürchten, dass Kulturhäuser wegen ruhebedürftigen Nachbarn ihren nächtlichen Betrieb einschränken müssen. Die Geschichte der Neuüberbauung der Butterzentrale von Emmi erinnert irgendwie fatal an die Boa — sogar die Akteure sind zum Teil noch die gleichen. Kein Wunder, bekommt man das Gefühl, die Stadt Luzern habe aus der Boa-Geschichte nichts gelernt.
Der heutige Bericht von Schweiz aktuell im Schweizer Fernsehen fasst die Situation kurz zusammen (von 03:50 bis 08:15):
Damals wurde die Boa leichtfertig aufs Spiel gesetzt, heute sind der Theaterpavillon und das Jugendkulturzentrum Treibhaus durch die Wohnbauprojekte in der Nachbarschaft gefährdet. Damals hiess der Investor Jost Schumacher und Kurt Bieder präsidierte die grossstadträtliche Baukommission — heute ist der derselbe Kurt Bieder Baudirektor der Stadt Luzern und als solcher mitverantwortlich, dass "Shades of Milk" (so heisst das Bauprojekt von Emmi) bei den Baubehörden und im Parlament glatt durchgewunken wurde. Dass es genügt, an die Vernunft des Publikums zu appellieren und die Gäste der Kulturbetriebe für die Anliegen der Anwohnerschaft zu sensibilisieren, glaubt wohl auch Sybille Umiker, die PR-Frau von Emmi, selber nicht. Deshalb verschanzt sie sich gegen Ende des TV-Berichts hinter der Position von Emmi, das Projekt sei zonenkonform und Emmi wolle auf diese Wohnungen nicht verzichten.
Wenn nicht noch eine Wunder die fatale Duplizität der Ereignisse verhindert — und wer glaubt schon an Wunder — wird die neue wunderbare Welt von Emmi so aussehen:
Dieses Projekt der Luzerner Rüssli Architekten AG hat den von Emmi veranstalteten Wettbewerb gewonnen. Die Visualisierung zeigt den Emmi-Hauptsitz an der Ecke Eisfeld-/Landenbergstrasse. Die gefährdeten Kulturbetriebe liegen hinter diesen Gebäuden an der gegenüberliegenden Ecke des Areals.
PS. Wie die NLZ berichtet, hat Sybille Umiker von Emmi bestätigt, dass es die Idee der Stadt Luzern gewesen sei, auf dem frei werdenden Areal der Butterzentrale Wohnungen zu bauen.